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Kybele im Naiskos



Kybele im Naiskos


Inventar Nr.: Sk 134
Bezeichnung: Kybele im Naiskos
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 4. Jh. v. Chr., attisch
Epoche/Stil:attisch (GND: 4143357-9)
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Fundort: Athen
Material / Technik: Weißer, feinkristalliner Marmor
Maße: insgesamt 48 cm (Höhe)
Naiskos an den Giebelecken 28 cm (Breite)
an dem Architrav 26 cm (Breite)
Bildfeld 34 cm (Höhe)
Bildfeld 19,5 cm (Breite)
Bildfeld 8 cm (Tiefe)
Figur Kybele 32,5 cm (Höhe)
Antenfiguren 14 cm (Höhe)
Provenienz:Erworben 1985 im Kunsthandel Arete, Zürich.


Katalogtext:
In einem eingetieften Bildfeld des tempelartigen Schreins thront die Göttin Kybele frontal auf einer Bank. In ihrer rechten Hand streckt sie eine leicht geneigte Omphalosschale vor. Mit der linken Hand umfasst sie den unteren Rand eines leicht schräg gehaltenen großen Tympanons neben sich. Ein kleiner Löwe mit Kragenmähne liegt wie schlafend auf ihrem Schoß, sein auf den Vorderpfoten ruhender Kopf liegt auf ihrem rechten Oberschenkel, sein Gesicht ist zerstört. Die Göttin ist mit einem gegürteten Ärmelchiton und Mantel bekleidet, der den Unterkörper fast bis zu den Füßen bedeckt und von ihrer linken Schulter sowie vom Hüftbausch seitlich bis zum Fußschemel herabhängt. Auf ihrem welligen Haar mit langen Schulterlocken trägt sie einen konischen Polos, der sich verbreiternd fast bis an den Architrav reicht. Die sandalenbewehrten Füße hat sie auf eine flache schemelartige Bodenplatte gesetzt, den rechten Fuß vorgestellt.

Der Naiskos besteht aus der Grundplatte, den leicht zurückgesetzten und sich verjüngenden Seitenpfeilern mit Kapitellen, flacher Rückwand und Seitenwänden, dem Architrav und dem von Gesimsen gerahmten leeren Giebelfeld. Das ausladende Dach mit First- und Eck-Akroteren erreicht die Breite der Bodenplatte. In der Naiskosrückwand neben dem Kopf der Göttin dient je ein antikes Bohrloch der Anbringung von Applikationen und Devotionalien.

Auf der Bodenplatte vor den Anten steht frontal je eine flach reliefierte Figur: links Hermes mit der linken Hand das Kerykeion schräg vor sich haltend, den rechten Arm gesenkt, in Chlamys mit Fibel auf rechter Schulter; rechts Hekate mit beiden Händen eine Fackel diagonal vor sich haltend, bekleidet mit Chiton und Mantel im Hüftbauschtypus. Die beiden kleinen Figuren im gleichen Standschema mit rechtem Spielbein erreichen mit ihren Köpfen – Hermes mit Pilos?, Hekate mit Diadem? – die Sitzhöhe der Bank.

Kybele vollzieht das Libationsopfer mit der schräg gehaltenen Spendeschale. Ihren hohen göttlichen Rang bringen das kultbildhafte Thronen in dem Naiskos und der Polos zum Ausdruck. Ihre Wesenszüge versinnbildlichen der friedliche Löwe auf ihrem Schoß als Herrin der Tiere und Muttergottheit (Potnia Theron, Magna Mater), die Handpauke (Tympanon) der Göttin der orgiastischen Tänze und die ihr beistehenden göttlichen Antenfiguren: der himmlische Götterbote und kundiger Begleiter auf allen Wegen (Hermes); die chthonische Göttin der Unterwelt, der Dreiwege, der Zauberei, der Fruchtbarkeit (Hekate). Kybele genoss Verehrung als Muttergöttin, Schützerin des Hauses wie der Siedlung und zugleich als ekstatisch befreiende urtümliche Naturgottheit.

Der Kult der phrygischen Naturgottheit Kybele wird in Athen erstmals bildlich fassbar, als dieser kleinasiatischen ›Großen Mutter‹ im letzten Drittel des 5. Jhs. v. Chr. eine Kultstatue – die Göttin sitzend mit Tympanon und Löwen, geschaffen von dem Bildhauer Agorakritos – geweiht wurde, aufgestellt in einem vermutlich schmalen Kultraum im Metroon auf der Agora (Thompson 1972). Seit dem 4. Jh. v. Chr. treten Reliefnaiskoi der Kybele in diesem Bildtypus und in Variationen in Athen selbst und in den hinzukommenden Metroa Attikas überaus häufig auf, als Kybele/Meter mit den einheimischen attischen Muttergottheiten in staatlichen wie privaten Kulteinrichtungen verschmolzen wurde (zuletzt Goette – Hammerstaedt 2004). Der dominante Bildtyp berechtigt zur Annahme, in diesen Votiven handwerklich bescheidene Wiedergaben des Kultbildes von Agorakritos zu vermuten.

Wie bei Votiven dieser Größe und insbesondere dieses Typs üblich, entbehren die Figuren und die architektonischen Schmuckglieder der akribischen Ausformung. Vielleicht waren weitere Details und Feinheiten zusätzlich durch Bemalung dargestellt. Die in der Regel schlichte plastische Ausführung lässt auf weniger potente Auftraggeber bzw. Abnehmer schließen, die diese Votive vor allem zur Bekundung ihrer Frömmigkeit und privaten Andacht erwarben. Die artifizielle Ausführung und künstlerische Qualität wurden anscheinend für zweitrangig erachtet, unbeschadet der Weihung in Heiligtümer der Göttin, einer Aufstellung im öffentlichen Raum (Plätze, Wege, Gärten) oder der Verwendung im häuslichen Kult. Die Position der Thronenden im eingetieften Bildraum, ihre Gewandbehandlung und Haartracht gestatten, unseren Reliefnaiskos den in die Mitte und in die 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. datierten attischen Exemplaren an die Seite zu stellen (Naumann 1983, Simon 1997).

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 301, Kat.Nr. 99.


Letzte Aktualisierung: 27.11.2023



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