|<<   <<<<   14 / 51   >>>>   >>|

Winterlandschaft



Winterlandschaft


Inventar Nr.: GK 241
Bezeichnung: Winterlandschaft
Künstler / Hersteller: Rembrandt Harmensz. van Rijn (1606 - 1669), Maler/in
Datierung: 1646
Objektgruppe: Gemälde
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Öl
Maße: 16,6 x 23,4 cm (Bildmaß)
Provenienz:erworben vermutlich 1752 von Gerard Hoet, den Haag, durch Wilhelm VIII.


Katalogtext:
Eine kleine Winterlandschaft: Unter einem intensiv blauen Himmel, der von dünnen weißen Wölkchen bedeckt ist, liegt ein zugefrorenes Gewässer, das vom hellen Sonnenlicht getroffen wird. An dessen gegenüberliegendem Ufer, umringt von kahlen Bäumen, ducken sich Bauernhäuser und ein Heuschober. Ganz links führt eine Brücke aus dem Bild heraus. In der Ferne lassen sich noch eine Windmühle und ein Turm ausmachen, der auch als der Obelisk in der Nähe von Spieringerhorn, an der Straße von Amsterdam nach Haarlem, identifiziert wurde. Rembrandt hat ihn in einer Radierung dargestellt. Eine ganze Reihe von Figuren dienten als Staffage; auf dem Eis zieht ein Pferd einen Lastschlitten, vorne sitzen links und rechts Eisläufer mit Schlittschuhen an den Füßen. In der Mitte strebt eine ältere Frau nach rechts, brav gefolgt von ihrem Hündchen. Am Bildrand rechts betrachtet ein alter bärtiger Mann gestützt auf seinen Stab das Geschehen.
Die Malerei wirkt spontan, naß in naß ausgeführt. Tatsächlich zeigen die technischen Befunde, wie Details in die noch feuchte Farbe eingetragen wurden, so daß der Pinsel die darunterliegende Farbe verdrängte. Das Pentiment an den Beinen des Hundes macht dies deutlich, wie ebenso der Auftrag einer butterigen Farbe in den Lichtpartien der Eisfläche. Dieser Eindruck einer Malerei alla prima führte zu der These, Rembrandt habe die Landschaft unmittelbar vor der Natur gemalt. Die Niederschrift der Details mit dem Pinsel erinnert an Rembrandt Zeichentechnik, mit der er sicherlich in der Natur die Landschaft vor den Toren Amsterdam mit Feder und Kreide skizzierte. Max Eisler hatte 1918 als erster das Kasseler Gemälde mit einer gezeichneten Winterlandschaft verglichen, die ebenfalls Gehöfte jenseits eines zugefrorenen Gewässers zeigt. Die Erinnerung an Rembrandts Graphik stellt sich auch über das kleine Format ein, das dem vieler seiner Zeichnungen und Radierungen entspricht. In Rembrandts Insolvenz-Inventar von 1656 werden vier kleine Landschaften mit der Kennzeichnung „nae ’t leven“ (nach dem Leben) aufgeführt, darunter eine als „een begone lantschappie nae ’t leven“ (eine kleine angefangene Landschaft nach dem Leben“).
Hinzu kommt die Stille der Szenerie, ihre Alltäglichkeit, jNebensächlichkeit. Sie wirkt daher anders als auf den sonst in Holland so häufig gemalten Winterlandschaften mit ihren durcheinander wirbelnden Schlittschuhläufern. In ihrer Eigenartigkeit ist sie den Winterlandschaften von Esaias van de Velde am ähnlichsten. Dieser hatte rund zwanzig Jahre zuvor die Malerei der holländischen Landschaft mit heimatlichen Motiven entdeckt, die möglichst naturalistisch in einer wahrhaftigen Komposition wiederzugeben waren. Seine 1629 datierte Winterlandschaft der Kasseler Galerie demonstriert dies mit ihrem niedrigen Horizont, der tonigen Farbigkeit und der Wahl einfacher Gebäude und knorriger Bäume (GK 384). Die Malerei der Äste gegen den Winterhimmel weist große Ähnlichkeit zu der Rembrandts auf. Bei Rembrandt wirkt die Landschaft durch die geschlossenen Bahnen von hellen und dunklen horizontalen Schichten (der Schatten im Vordergrund, die beleuchtete Eisfläche, die verschattete Uferzone, die zusammengefassten Hütten, die Wolkenbahnen) noch einheitlicher. Trotz dieses Eindrucks ist es doch unwahrscheinlich, daß Rembrandt seine Landschaft im Freien malte. Diese Praxis ist nicht aus seiner Zeit überliefert. Der Eindruck der direkten Naturaufnahme entsteht eher in der Beherrschung der künstlerischen Mittel, die Rembrandt auch durch das Zeichnen vor der Natur erprobt hatte.
Die kleine Winterlandschaft ist die einzige, die Rembrandt gemalt hat, und zugleich seine letzte Auseinandersetzung mit der Landschaftsmalerei. Er hatte sich zuvor, seit dem Ende der dreißiger Jahre, mehrfach mit dem Thema auseinandergesetzt. Im Unterschied aber zu der so wahrhaftigen Winterszene zeigen sie phantastische Landschaften mit düsteren Gegenden, schweren Wolken über fernen Gebirgen, auf ihnen gewaltige Schlösser und Burgen. Ungestalte Baumstrunke stehen im Mittelgrund, Reisende sind unterwegs. Selbst ein so vertrautes Motiv wie Die Steinbrücke des Rijksmuseums, Amsterdam, wird von einem theatralischen Himmel mit einer schlaglichtartigen Beleuchtung überwölbt. Die große Flußlandschaft mit Windmühle der Kasseler Galerie (GK 242) entspricht diesem imaginären Typus. Sie verbindet holländische Motive mit phantastischen Architekturmotiven. Vermutlich hat Rembrandt, dessen Handschrift im unteren rechten Bereich erkennbar ist, sie unvollendet zurückgelassen, so daß sie ein anderer, stilistisch und qualitativ abweichender Maler überging und vollendete. Diese Art Landschaftsmalerei hätte der Schreiber von Rembrandts Inventar 1656 kaum mit dem Begriff „nae ’t leven“ gekennzeichnet.

Laut Katalog von 1783 hing das kleine Gemälde im Roten Kabinett des Herrschaftlichen Palais zusammen mit zahlreichen anderen Kleinformaten von Breenbergh, Jan und Willem van Mieris, Gerard Dou usw., aber auch drei weiteren Gemälden Rembrandts, Simson und Delila (Kriegsverlust), Bildnis eines Mannes (verschollen) und Die Heilige Familie mit dem Vorhang (GK 240). Im gleichen Format und in Nachbarschaft zur Winterlandschaft wird ein Gemälde von David Teniers d.J. aufgeführt, das eine Landschaft mit Bauernhäusern und einem Bauer mit Schubkarren zeigt (GK 142). Im Inventar von 1749ff. wird dieses Stück unmittelbar nach der Winterlandschaft Rembrandts eingetragen als Nr. 769: „Teniers (David). Eine kleine Landschaft mit 4. Persohnen, beyde ohne Rahmen auf Holtz und Cop: zu dem vorgegangenen“. Demnach hatte Gerard Hoet, der als Lieferant des Rembrandt-Bildes und eines zuvor eingetragenen Werkes von Hendrick van Steenwyck erwähnt wird, einen flämischen „Compagnon“ zur Winterlandschaft besorgt. Dabei hat er eine gute Wahl getroffen: Nicht nur das Format der Gemälde ist gleich, auch der Figurenmaßstab der Figuren des Vordergrunds, in dem sich überdies eine Figur bildparallel von links nach rechts bewegt, die wie auf Rembrandts Bild ebenfalls von einem Hund begleitet wird. Dem Stil nach datiert das Gemälde von Teniers von ca. 1645/50, also auch aus der Zeit der Entstehung der Winterlandschaft Rembrandts.
Als John B. S. Morritt seinen Besuch der Galerie 1794 protokolliert, sind ihm beide Gemälde eine Notiz wert: „a landscape by Rem[brandt]. a small Landscape & figures with a wheelbarrow at a cottage door“. Auch wenn er den Maler des Bildes mit dem Schubkarren nicht nennt, so bemerkte er sehr wohl ihre Zusammengehörigkeit.
(G. J. M. Weber, 2006)



Inventare:
  • Catalogue des Tablaux. Kassel 1749, S. 68, Nr. 768.
Literatur:
  • Causid, Simon: Verzeichnis der Hochfürstlich-Heßischen Gemälde-Sammlung in Cassel. Kassel 1783, S. 75, Kat.Nr. 128.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Versuch eines Verzeichnisses der kurfürstlich hessischen Gemälde-Sammlung. Kassel 1819, S. 53, Kat.Nr. 322.
  • Robert, Ernst Friedrich Ferdinand: Verzeichniß der Kurfürstlichen Gemählde-Sammlung. Cassel 1830, S. 60, Kat.Nr. 368.
  • Auszug aus dem Verzeichnisse der Kurfürstlichen Gemälde-Sammlung. Kassel 1845, S. 39, Kat.Nr. 368.
  • Aubel, L.; Eisenmann, Oscar: Verzeichniß der in der Neuen Gemälde-Galerie zu Cassel befindlichen Bilder. 2. Aufl. Kassel 1878, S. 35, Kat.Nr. 368.
  • Eisenmann, Oscar: Katalog der Königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. Nachtrag von C. A. von Drach. Kassel 1888, S. 146-147, Kat.Nr. 219.
  • Bode, Wilhelm; Hofstede de Groot, C. (mitwirkend): Rembrandt. Beschreibendes Verzeichniss seiner Gemälde mit den Heliographischen Nachbildungen. Geschichte seines Lebens und seiner Kunst. Paris 1897-1901, S. 95-96 (Bd. 5), Kat.Nr. 341.
  • Voll, Karl: Die Meisterwerke der königlichen Gemälde-Galerie zu Cassel. München 1904.
  • Hofstede de Groot, C.; Plietzsch, Eduard (mitwirkend); Lilienfeld, Karl (mitwirkend): Beschreibendes und kritisches Verzeichnis der Werke der hervorragendsten Holländischen Maler des XVII. Jahrhunderts. Esslingen/Paris 1907-1928, S. 392 (Bd. 6, 1915), Kat.Nr. 943.
  • Gronau, Georg: Katalog der Königlichen Gemäldegalerie zu Cassel. Berlin 1913, S. 53, Kat.Nr. 241.
  • Eisler, Max: Rembrandt als Landschafter. München 1918, S. 207-209.
  • Grosse, Rolph: Die holländische Landschaftskunst 1600-1650. Berlin/Leipzig 1925, S. 108.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 62, Kat.Nr. 241.
  • Luthmer, Kurt: Staatliche Gemäldegalerie zu Kassel. Kurzes Verzeichnis der Gemälde. 34. Aufl. Kassel 1934, S. 23, Kat.Nr. 241.
  • Benesch, Otto: Rembrandt. Werk und Forschung. Wien 1935, S. 37, Kat.Nr. dG. 943.
  • Bredius, A.: Rembrandt Gemälde. Wien 1935.
  • Seiffert-Wattenberg, R.: Rembrandt Harmensz. van Rijn. München 1936, S. 7.
  • Voigt, Franz: Die Gemäldegalerie Kassel. Führer durch die Kasseler Galerie. Kassel 1938, S. 21, Kat.Nr. 241.
  • Rembrandt und seine Zeit. Zweihundert Gemälde der Blütezeit der holländischen Barockmalerei des 17. Jahrhunderts aus deutschen, holländischen und schweizerischen Museums- und Privatbesitz. Museum zu Allerheiligen. Ausstellung 10.4.1949 - 2.10.1949. Schaffhausen 1949, S. 63, Kat.Nr. 132.
  • Le paysage hollondais au XVIIe siècle. Orangerie des Tuileries Paris. Ausstellung 1950. Paris 1950, S. 37, Kat.Nr. 67.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 120-121, Kat.Nr. 241.
  • Herzog, Erich: Holländische Meister des 17. Jahrhunderts aus den Betänden der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel (Jahresausgabe der Hessischen Brandversicherungsanstalt für 1965). Kassel 1965, S. Vorwort o. S.
  • Rosenberg, Jakob; Slive, Seymour; Ter Kuile, E. H.: Dutch Art and Architecture 1600 to 1800. Harmondsworth 1966.
  • Bott, Gerhard; Gronau, Georg; Herzog, Erich; Weiler, Clemens: Meisterwerke hessischer Museen. Die Gemäldegalerien in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden. Hanau 1967, S. 158-159, Kat.Nr. XI.
  • Herzog, Erich: Die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel. Geschichte der Galerie von Georg Gronau und Erich Herzog. Hanau 1969, S. 74.
  • Gerson, Horst; Schwartz, Gary (Hrsg.): Rembrandt Gemälde. Gesamtwerk. Gütersloh 1969, S. 310, 352, 499, 524, Kat.Nr. 267.
  • Lehmann, Jürgen M.; Verein der Freunde der Kasseler Kunstsammlungen, Kassel e. V. (Hrsg.): Gemäldegalerie Alte Meister. Schloß Wilhelmstal. Bildheft mit 100 Meisterwerken. Kassel 1975.
  • Adler, Wolfgang; Herzog, Erich; Lahusen, Friedrich; Lehmann, Jürgen M.: Gemäldegalerie Alte Meister Schloß Wilhelmshöhe. Braunschweig 1981, S. 78.
  • Schnackenburg, Bernhard: Gemäldegalerie Alte Meister Gesamtkatalog. Staatliche Museen Kassel. 2 Bde. Mainz 1996, S. 242.
  • Savoy, Bénédicte: Patrimoine annexé: Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800. Paris 2003, S. 242, Kat.Nr. 539.
  • Weber, Gregor J. M. u. a.: Rembrandt-Bilder. Die historische Sammlung der Kasseler Gemäldegalerie. Ausstellungskatalog Staatliche Museen Kassel. München 2006, S. 219-223, Kat.Nr. 31.
  • Christiaan Vogelaar/Gregor J. M. Weber: Rembrandts Landschaften. Kassel 2006, S. 104-113, 243, Kat.Nr. 6.
  • Borenius, Tancred: Rembrandt. London 2015.
  • Manuth, Volker; Winkel, Marieke de; Leeuwen, Rudie van: Rembrandt. Sämtliche Werke. Köln 2019.
  • Gnann, Achim: Rembrandt. Landschaftszeichnungen. Petersberg 2021, S. 82f.


Letzte Aktualisierung: 17.06.2020



© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum