Porzellangruppe "Der Postknecht" (vorherige Bezeichnung: "Die Anwerbung zum Militär")



Porzellangruppe "Der Postknecht" (vorherige Bezeichnung: "Die Anwerbung zum Militär")


Inventar Nr.: KP 2020/2
Bezeichnung: Porzellangruppe "Der Postknecht" (vorherige Bezeichnung: "Die Anwerbung zum Militär")
Künstler / Hersteller: Johann Simon Feylner (1726 - 1798), Modelleur, Zuschreibung
Porzellanmanufaktur Frankenthal
Datierung: 1777
Objektgruppe: Statuette / Kleinplastik
Geogr. Bezug: Deutschland, Frankenthal
Material / Technik: Porzellan, bossiert, glasiert (Aufglasurmalerei) mit Goldstaffage
Maße: 22 x 22,1 x 12,3 cm (Objektmaß)
Provenienz:Daniela Kumpf Kunsthandel Wiesbaden. Erworben mit Unterstützung des Museumsvereins Kassel e.V.
Beschriftungen: Signatur: Unterglasurblau Frankenthaler Marke Kurfürst Carl Theodor 1762 - 1797


Katalogtext:
Zwei erkennbar betrunkene Figuren lehnen sich an ein großes Weinfass, das auf einem felsigen Grasplateau steht. Der stark alkoholisierte, unbeschuhte linke Mann hält sich mühsam an der Rückseite des Fasses fest. Sein brusttief geöffnetes schlichtes Hemd ist aus der zu kurzen grünen Hose gerutscht. Das Haar fällt in wilden Strähnen über den Kopf, die Zunge hängt heraus und Wein schwappt aus dem Becher in seiner rechten Hand. Auf der anderen Seite des Fasses steht ein Mann in gelber Uniform. Er trägt schwarze, sporenbewehrte Stiefel, ein rotgemustertes Hemd und einen Dreispitz. Sein Haar ist zu einem Zopf gefasst, und an der linken Körperseite hängt an einem grünen Band ein Posthorn. In seiner rechten Hand sind die Reste eines Pfeifenstiels erkennbar, das Fragment einer weiteren Pfeife liegt vor ihm im Gras. In der Linken hält er einen Becher mit Wein. Auch er ist bereits betrunken, wie der formlos geöffnete, nicht mehr gegürtete Rock, das achtlos auf dem Weinfass liegende Tuch und der unsichere Stand belegen.

Die Porzellangruppe ist heute in drei Fassungen bekannt: Neben der Kasseler Gruppe (ehemals Kunsthandlung Daniela Kumpf) sind Ausformungen mit abweichender Staffierung in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (Inv. Nr. RMM 1968/1) - dort ohne Posthorn -, und im Erkenbert-Museum Frankenthal - dort anstelle des Posthorns ein Täschchen in Form einer Blüte - vorhanden.

Franz Swoboda prägte 1968 ausgehend von der Mannheimer Gruppe die bisherige Deutung der Gruppe als "Anwerbung zum Militär", bei der ein Bauernbursche von einem Werbeoffizier zum Militärdienst verpflichtet werde. Obgleich Swoboda dieses Thema im "Verkaufskatalog" der Manufaktur nicht nachweisen konnte, sah er in der Darstellung eine Anspielung auf das Lustspiel "Die Werber" von Gottlob Stephanie d.J. (1741-1800), das von Januar 1777 bis September 1778 zum Repertoire des Mannheimer Schauspielhauses gehörte. In diesem Lustspiel geht es im doppelten Sinne um das Werben, militärisch und amourös, wobei das Anwerben von Soldaten gegenüber dem Werben um das schöne Geschlecht im Laufe der Handlung in den Hintergrund tritt. Die einzige militärische Anwerbeszene wird im dritten Aufzug (8.-10. Auftritt) vorgestellt. Wachtmeister Kittmann macht dort den Bauernkerl Bullok mit Branntwein und falschen Versprechungen gefügig, sodass der Werbeoffizier Baron Plume den Getäuschten mit einem Handgeld von vier Talern als Quartiermeister verpflichten kann.
Die auf dem Theaterstück fußende, durch Quellen aber nicht belegbare Deutung Sowbodas prägte die weitere kunsthistorische Rezeption der Gruppe (Beaucamp-Markowsky 2008, S. 541, Eberle 2017, 184). Bei genauerer Betrachtung erweist sie sich jedoch als problematisch. Denn der angebliche Werbeoffizier trägt keine Waffe, was für eine Offiziersdarstellung im Jahr 1777 undenkbar ist und auch den Soldatendarstellungen in der Manufaktur Frankenthal widerspricht (vgl. die Bewaffnung der Gruppen: “Der verwundete Kürassier“, die Serie „Sechs Musketiere“, „Der kleine Dragoner“ (Beaucamp-Markowsky 2008, S. 347-356, 365f.)). Stattdessen hängt am grünen Bande der Kasseler Gruppe ein Posthorn, dessen Bezug zu einem Werbeoffizier unklar bleibt. Weder Werbegeld noch Werbelisten, wie sie im Theaterstück vorkommen, sind zu sehen.

Den entscheidenden Hinweis auf die wohl korrekte Deutung der Gruppe gibt das Posthorn, das der gelb Bekleidete trägt. Unter dem Stichwort „Post“ unterscheidet Zedlers Universallexikon im Jahr 1741 zwischen dem „General-Postmeister“, der die Oberaufsicht führt, den „Verwalter-Postmeistern“ in den einzelnen Orten und den einfachen "Boten-Postilions, oder Post-Knechten“ (Bd. 28 (1741), Sp. 1787). „Diese tragen ein Zeichen oder Schild an dem Kleide auf der Brust, daran sie erkannt werden und führen ein Post-Horn an der Seite, mit welchem sie die, so ihnen entgegen kommen, warnen auszuweichen, welches ein ieder zu thun schuldig ist." (ebd.). Als Signalinstrument war das Posthorn dem Postillion somit fest zugeordnet.

Waren Postillions bis zum 18. Jahrhundert noch in unterschiedlicher, nicht normierter Bekleidung unterwegs, so kamen im 18. Jahrhundert allmählich Uniformen auf. Der Postillion der Kasseler Gruppe trägt eine solche Uniform, deren Gelb auf die Reichspost (bzw. auf die Post Hannovers oder anderer Fürstentümer des Nordens) verwies, ohne dass eine konkrete Livree dargestellt würde. Das Posthorn als reichsweit bekanntes Erkennungszeichen stellte die Deutung des Mannes als Postillion oder Postknecht für den damaligen Betrachter jedoch sicher. Auch weitere Details wie die langstielige Pfeife, die bei Darstellungen von Postillions immer wieder zu finden ist, nährt diese Interpretation. Wir dürfen die Gruppe daher als ein frühes Beispiel für das im 19. Jahrhundert beliebte Motiv des „lustigen“ Postillions interpretieren, der gern mit der Bevölkerung einen über den Durst trinkt, das Posthorn lässig an der Seite tragend. (Ich danke Dr. Peter Styra, Fürst Thurn und Taxis Zentralarchiv - Hofbibliothek – Museen, für seine ausführliche Auskunft zum frühneuzeitlichen Postwesen und seine Stellungnahme zur Kasseler Porzellangruppe).

Eine Bestätigung der hier vorgeschlagenen Deutung liefern die Archivalien der Frankenthaler Manufaktur. Eine im Jahr 1780 durchgeführte Fabrikinventur, deren Listen Emil Heuser im Jahr 1922 veröffentlichte, gibt keinerlei Hinweise auf eine Porzellangruppe mit dem Thema "Anwerbung zum Militär". Stattdessen lässt sich das Motiv des Postillions im Formenbestand zwischen 1775 und 1780 sicher nachweisen. Im "Verzeichnis derer verschiedenen Possierformen, welche seit Anfang 1775 bis hierher verfertigt worden" findet sich eine Form mit dem Titel "Der Postknecht". Es ist überaus wahrscheinlich, dass es sich hierbei um diejenige Gipsform handelt, aus der die drei heute bekannten Gruppen im Jahr 1777 hervorgingen.
(5.5.2021/12.8.2021, Antje Scherner)



Literatur:
  • Heuser, Emil: Porzellan von Strassburg und Frankenthal im achtzehnten Jahrhundert. Neustadt an der Haardt 1922, S. 199.
  • Swoboda, Franz: Eine Neuerwerbung im Städtischen Reiss-Museum. In: Mannheimer Hefte (1968), S. 45-48.
  • Swoboda, Franz: Keramische Neuerwerbungen des Reiss-Museums in Mannheim. In: KERAMOS (1972), S. 61-65, S. 61.
  • Swoboda Franz: Kunst und Kunsthandwerk. Neuerwerbungen 1964-1973. Reiss-Museum Mannheim. Mannheim 1974, S. 44-45, Kat.Nr. 23.
  • Beaucamp-Markowsky, Barbara: Frankenthaler Porzellan. Band 1: Die Plastik. München 2008, S. 541, Kat.Nr. 294.
  • Die Ernestiner: Eine Dynastie prägt Europa. Begleitband zur Thüringer Landesausstellung in Weimar und Gotha. Dresden 2016, S. 276, Kat.Nr. 385.
  • Eberle, Martin: Militärische Zeichen in der Raumausstattung und im Kunsthandwerk des 18. Jahrhunderts. In: Zeichen und Medien des Militärischen am Fürstenhof in Europa (2017), S. 166-188, S. 184.


Letzte Aktualisierung: 11.09.2023



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