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Kokosnusspokal mit Deckel in Form eines Rundtempels



Kokosnusspokal mit Deckel in Form eines Rundtempels


Inventar Nr.: KP B VI/II.112
Bezeichnung: Kokosnusspokal mit Deckel in Form eines Rundtempels
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 1. H. 17. Jh.
Objektgruppe: Gefäß / Tafelgeschirr / Tafelgerät / Pokal
Geogr. Bezug: Deutschland
Material / Technik: Kokosnuss, Elfenbein, gedrechselt, gesägt, gebohrt, geschnitzt und poliert
Maße: 44,8 cm (Höhe)
max. 11,2 cm (Durchmesser)
Fuß 10 cm (Durchmesser)


Katalogtext:
Der Kokosnusspokal mit einem Fuß und Deckel aus gedrechseltem Elfenbein kann als einzigartiges Kunstkammerstück und als seltenes Meisterwerk der Maschinenkunst gelten. Allein der Deckel besteht aus 188 Einzelteilen, die auf der Drehbank hergestellt, anschließend beschnitzt oder mit der Laubsäge weiterbearbeitet und schließlich zu einem phantasievollen Architekturgebilde zusammengefügt wurden. Dargestellt ist eine runde Säulenhalle, bei der ein innerer Stützenring die Mittelkuppel trägt, die von sechs kleineren Kuppeln auf weiteren Stützen umringt wird. Die Kuppeln sind nicht als geschlossene Kalotten gearbeitet, sondern so weit ausgesägt, dass nur noch kleine Elfenbeinstege oder Pflanzenranken stehen blieben. Diese äußerst filigrane Architektur wird bekrönt durch Zierspitzen, die in Blüten enden (die Blüten sind zum Teil verloren). Auf der Innenseite der Mittelkuppel hängt ein kleiner Vogel, sodass das Bauwerk als kleiner Gartentempel interpretiert werden kann. Auch die Kokosnuss, die die Trinkschale bildet, zeigt einen interessanten Befund. Auf ihrer Außenseite haben sich Reste von Anzeichnungen erhalten, die darauf hindeuten, dass ursprünglich eine Spange angebracht werden sollte. Möglicherweise war der Pokal demnach noch prachtvoller geplant und blieb in diesem Punkt unvollendet.
Bis heute sind keine auch nur annähernd vergleichbaren Elfenbeindrechselarbeiten bekannt, sodass eine Einordnung, Datierung oder gar Zuschreibung dieses Meisterwerks schwierig ist. Aus dem Nachlass Erzherzog Ferdinands II. von Tirol hat sich in Schloss Ambras ein Schreibzeug erhalten, das in ähnlicher Weise von kleinen gedrechselten Türmchen und Pavillons bekrönt wird, aber nicht aus Elfenbein, sondern aus Holzspänen besteht. Es stand im 18. Kasten der Kunst- und Wunderkammer zusammen mit weiteren filigranen Holzdrechselarbeiten. Als „kunststuckh“ demonstrierten solche Werke die virtuose Beherrschung des Materials, das bis an die Grenzen des statisch und technisch Möglichen gedrechselt, beschnitzt oder ausgehöhlt wurde. Für fürstliche Sammler, die aufwendige Drehkammern besaßen, in denen sie teilweise selbst drechselten, veranschaulichten diese Werke die Möglichkeiten menschlicher Kunstfertigkeit. Als „artificialia“ waren solche Meisterwerke von Künstlerhand fester Bestandteil der fürstlichen Kunstkammern.
Über die Herkunft und Geschichte des Kasseler Kokosnusspokals ist bis heute wenig bekannt. Möglicherweise war er mit dem „Pokal in Kokusnuß mit einem künstlichen Fus und Dekel, woran ein Brunnen mit Zugeimern von Bernstein“ identisch, der laut Inventar von 1791 im Museum Fridericianum bei den übrigen Elfenbeinarbeiten ausgestellt wurde.
Antje Scherner (10/2016)



Literatur:
  • Schwab, Sabine: Vom Naturprodukt zum Kunstobjekt und dessen Erhaltung. Konservierung und Restaurierung von Elfenbein. In: Elfenbein. Barocke Pracht am Wiener Hof (2011), S. 214-221, S. 217.
  • Harmssen, Anne; Scherner, Antje: Ein Museum zieht um. Rückblick auf die Auslagerung der Kunstwerke aus dem Hessischen Landesmuseum. In: Jahrbuch 2010 (2011), S. 16-21.
  • Scherner, Antje [Bearb.]; Cossalter-Dallmann Stefanie [Bearb.]: Aus der Schatzkammer der Geschichte. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Petersberg 2016, S. 84, Kat.Nr. 33.


Letzte Aktualisierung: 02.05.2023



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