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Weiblicher Kopf / Aphrodite (?)



Weiblicher Kopf / Aphrodite (?)


Inventar Nr.: Sk 132
Bezeichnung: Weiblicher Kopf / Aphrodite (?)
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 100 v. Chr. - 70
Datierung:100 v. Chr. - 70 n. Chr. (GND: 4024313-8 / 7512142-6)
Griechisches Vorbild:400 - 320 v. Chr.
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Fundort: Anatolien
Material / Technik: Weißer, mittelkristalliner Marmor
Maße: insgesamt 28 cm (Höhe)
an Schläfen 14 cm (Breite)
Kinn bis Stirnscheitel 20,5 cm (Breite)
äußere Augenwinkel 9,5 cm (Distanz)
Provenienz:Erworben 1981 im Kunsthandel M. Yeganeh, Frankfurt am Main


Katalogtext:
Der leicht überlebensgroße weibliche Kopf neigt und wendet sich zur linken Seite. Das Haar mit Mittelscheitel ist in kräftigen gleichmäßigen Wellen aus dem Gesicht nach hinten gekämmt und bedeckt die Ohren halb. Am Hinterkopf war es vermutlich in einem hochoval ansetzenden Krobylos zusammengenommen und fällt in drei Lockensträngen im Nacken und je einer seitlichen Locke zu den Schultern herab. Ein flaches schmales und festgezogenes Band im Kalottenhaar führt vorn vom Oberkopf hinter den Ohren zum Nacken. Unter dem Krobylos sind die herabhängenden Locken nur bossiert wiedergegeben. Das ovale Gesicht ist stark vorgewölbt. In der Seitenansicht zeigt sich die betonte Länge des Kopfes. Die verflachende Modellierung und Bossierung der Frisur an Ober- und Hinterkopf lässt auf eine rundplastische Statue mit nachlässig ausgeführter Rückseite oder mit einem schleierartig hochgezogenen Mantel schließen. Allerdings könnte der Kopf auch von einer weitgehend freiplastisch gearbeiteten Relieffigur stammen, die im Bereich der ovalen Bruchfläche am Hinterkopf von dem Reliefgrund abgesprengt worden wäre. Der fragmentarische Erhaltungszustand lässt keine endgültige Entscheidung darüber zu. Die gleichförmigen, in teigig-wulstigen Strähnen zusammengefassten Locken mit minimaler Binnenzeichnung und die in einer weichen Augenhöhle unter kantigen Brauenbögen liegenden Augen stehen in der stilistischen Form späthellenistisch-klassizistischen Köpfen wie denen des Weihreliefs des Lakrateides nahe (Horn 1938). Eine vergleichbare Haarmodellierung ist an römischen Kopien bis in flavische Zeit zu beobachten.

Die Drehung und Neigung des Kopfes sowie die Frisur des Stirn- und Kalottenhaares mit Mittelscheitel, Band und Schlaufe sind von der Aphrodite Typ Knidia und der Artemis Typ Gabii bekannt, die beide jedoch keine Nacken- und Schulterlocken aufweisen. In der Lage des Haarbandes dicht hinter dem linken Ohr zum Nacken ähnelt unser Kopf der Knidierin, deren Repliken allerdings in der Regel das Band ein weiteres Mal um das Kalottenhaar im Bereich des Hinterkopfes geschlungen und unten zur Haarschlaufe geführt haben. Eine Gemeinsamkeit mit der Knidierin besteht ferner in der Lockengliederung auf der linken Seite: Unter den großen Wellen im Stirnbereich folgen von der Schläfe ausgehend zwei mehrteilige Lockenstränge, von denen der untere entlang der Wange über das Ohr gelegt ist. Die Modellierung der Lockensträhnen bleibt im Vergleich mit der Knidierin allerdings wenig differenziert, eher summarisch. Nackenlocken sind ähnlichen Aphroditeköpfen eigen, die in der Forschung traditionell als ›praxitelische› Gruppe bezeichnet werden, aber wegen ihrer typologischen und stilistischen Unterschiede nicht auf ein gemeinsames Urbild des 4. Jh. v. Chr. zurückzuführen sind (Linfert 1972/73). Unter der aufgebundenen Haarschlaufe hängt ein mehrteiliger Lockenstrang am Nacken des langen Halses herab. Allerdings fehlen den Köpfen dieser Gruppe zumeist die Laterallocken und in der Regel tragen sie eine dem Aphrodite Typ Arles näher stehende Frisur (Linfert 1972/73). Deren Haarwellen sind vom Mittelscheitel nach vorn und zu beiden Seiten gelegt und werden unterhalb des Haarbandes zusammen mit dem aufgekämmten Schläfenhaar parallel nach hinten geführt; dort sind sie mit dem rückwärtigen Kalottenhaar zu einer Haarschlaufe hochgebunden. Unserem Kopf vergleichbare Frisuren mit den Hals flankierenden Lockensträngen sind bekannt von verschleierten und unverschleierten Frauenfiguren des 4. Jh. v. Chr. (Lullies 1979), des Hellenismus (Protzmann 1989) und des römischen Klassizismus (Comstock – Vermeule 1976). Eine exakte Wiederholung ist bisher nicht nachgewiesen. Für vergleichbare singuläre Köpfe, die typologisch in der Bewegung, in der Gesichtsform und der Frisur mit Krobylos sich an spätklassischen Vorbildern orientieren und einer sogenannten ›praxitelischen‹ Gruppe zugewiesen werden, hat sich die Bezeichnung als Aphrodite eingebürgert. Eine genauere Bestimmung der idealtypischen Figur kann erst gelingen, wenn vollständigere Wiederholungen dieses Kopftypus mit seinen spezifischen Nacken- und Schulterlocken erkannt sind.

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 92-94, Kat.Nr. 19.


Letzte Aktualisierung: 13.08.2020



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