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Porträt einer Frau



Porträt einer Frau


Inventar Nr.: Sk 128
Bezeichnung: Porträt einer Frau
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 175 - 190 n. Chr., spätantoninisch
Epoche/Stil:spätantoninisch (GND: 118503499)
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Römisches Reich
Material / Technik: Weißgrauer, feinkörniger Marmor
Maße: 24,5 cm (Höhe)
Provenienz:Erworben 1974 im Kunsthandel H. U. Bauer, Köln; zuvor bei Barsanti, Rom.


Katalogtext:
Der etwa lebensgroße weibliche Kopf hat eine kubische Grundform. Die Asymmetrien im Gesicht sprechen für eine leichte Wendung nach links. In die hohe, kaum zurückweichende Stirn ist eine senkrechte Falte eingetieft. Die stark hervortretenden Wangenknochen betonen die Breite des ovalen Gesichtes. Die eingefallenen Wangen verjüngen sich zum Kinn hin. Dicht unter den langgezogenen geschwungenen Brauenbögen liegen große mandelförmige Augen, die das Gesicht dominieren. Bandartige, gleichmäßig breite Lider legen sich flach um die leicht vortretenden Augäpfel. Die runden Pupillenbohrungen liegen direkt unter den Oberlidern. Der Blick ist etwas nach oben gerichtet. Unter den Augen bilden sich leichte Tränensäcke. Der Übergang von der Stirn zur Nase ist sehr flach. Die Nasolabialfalten sind als sanfte Vertiefungen angegeben. Die Lippen des nicht sehr kleinen Mundes waren geschlossen und die Lippenspalte verlief offenbar gerade. Der Übergang vom Kinn zum Hals ist etwas schwammig. Unter dem insgesamt straffen Inkarnat mit seinen sanft modellierten Übergängen ist das Knochengerüst des kräftigen Gesichtes deutlich erkennbar.

Zu beiden Seiten eines Mittelscheitels rahmt eine flachgedrückte, aufwärts gekämmte Haarrolle in einem flachen Bogen Stirn und Schläfen. Rillen an der Oberfläche gliedern sie in sehr feine, unregelmäßige Strähnen, die relativ straff geführt sind. Oberhalb schließt sich eine etwa gleichbreite flache Haarwelle an, die ähnlich fein in die gleiche Richtung gekämmt ist. Die Stirnrolle läuft über die freibleibenden Ohren nach hinten und verbindet sich dort mit den dickeren Strähnen des Nackenhaars. Über der Stirn und am Nacken geben Ritzungen auf der Hautoberfläche den Haaransatz wieder. Auf dem Oberkopf läuft das Haar in zwei flachen Lagen parallel zum Scheitel nach hinten. Am Hinterkopf war die Haarmasse zu einem Knoten aufgenommen, unter dem das Nackenhaar knapp hervorschaut. Wie die Anathyrose zeigt, hatte er offenbar einen größeren Umfang und lag flach auf.

Das Bildnis zeigt eine uns unbekannte ältere Römerin. Ihre flache Stirnhaarrolle und der große Knoten am Hinterkopf finden enge Parallelen in spätantoninischen Porträts der Kaiserin Crispina im Typus I (Gercke 1983). In der Frisurgestaltung auf dem Oberkopf hingegen weicht das Kasseler Privatporträt von dem kaiserlichen Vorbild ab.

Crispinas Bildnistypus I entstand anlässlich der Hochzeit der damals höchstens 17-jährigen mit dem etwa gleichaltrigen Commodus (161–192 n. Chr.), dem Sohn und Nachfolger (reg. 180–192 n. Chr.) des Kaisers Marc Aurel (reg. 161–180 n. Chr.). Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt nach 180 n. Chr. löste der Typus II das ›Hochzeitsbildnis‹ der Crispina ab. Nach 187 n. Chr. ließ Commodus seine Frau hinrichten (Fittschen 1982). Daraus ergibt sich ein Anhaltspunkt für die Datierung des Kasseler Kopfes, obwohl die flache Stirnhaarrolle eventuell schon vor Crispinas Heirat und Erhebung zur Augusta geläufig ist (Kersauson 1996, Nr. 137). Bis zum Tod ihrer Schwiegermutter Faustina Minor 175 n. Chr. sind aber wohl deren Frisurentypen modebestimmend (Fittschen 1982, 68).

Auch in der Form der Lider und der Pupillenbohrung sind Übereinstimmungen mit dem Crispina-Porträt zu beobachten (Wegner 1939, 78 Taf. 57; Gercke 1983). Das flächige Gesicht mit dem deutlichen Knochenbau, die klaren Konturen des kubischen Kopfes und das straffe, sanft modellierte Inkarnat sprechen ebenfalls für eine Einordnung unseres Bildnisses in die spätantoninische Zeit. Die genannten Merkmale grenzen es von den Porträts der nachfolgenden severischen Epoche ab (Wegner 1939, Meischner 1982). Das gleiche gilt für die Lider, die bandartig flach auf den Augäpfeln liegen (Meischner 1982). Der Porträtkopf wird folglich in dem Zeitraum zwischen 175 und 190 n. Chr. entstanden sein.

Einige weitere Privatbildnisse, die zwischen 180 und 190 n. Chr. datiert werden, übernehmen die Frisur der Crispina ebenfalls nur teilweise (Schröder 1993; Johansen 1995; Kersauson 1996, Nr. 153). Die Bildnisstatue einer Frau in Afyon (Inan – Rosenbaum 1966, Wegner – Unger 1980) lässt sich in ihrer Augenbildung und ihrer Frisur gut mit dem Kasseler Porträt vergleichen (Gercke 1983). Beide weisen hinter der Stirnhaarrolle eine flache Haarwelle auf, die in die gleiche Richtung gestrählt ist. Die Stirnrolle der offenbar jüngeren Frau in Afyon ist allerdings voluminöser, ihr Haaransatz giebelförmig wie bei Crispina.

Auch das Kasseler Exemplar zeigt, dass sich die Römerinnen von den Damen des Kaiserhauses in den Frisuren ihrer repräsentativen Bildnisse inspirieren lassen ohne sie immer in allen Details zu kopieren. Es bleibt durchaus Spielraum für persönliche Variationen. Unser Kopf verbindet Elemente des Zeitstils mit individuellen Kennzeichen. Dazu gehören die deutlichen Altersmerkmale, die starke Knochigkeit des Gesichtes, die Lage der Augen so knapp unter den Brauen und das offenbar feine dünne Haar.

Die Dargestellte zeigt sich als reifere robuste Person. Ihre Gesichtszüge strahlen ruhigen Ernst aus. Ihr Bildnis unterscheidet sich in seiner etwas herben, ›bürgerlichen‹ Erscheinung von den überfeinerten Porträts der Zeit, die höfischen Idealen folgen, und deutet auf eine Herkunft der Frau aus der wohlhabenden Mittelschicht hin (Kersauson 1996, Nr. 153). Neben dem ›Zeitgesicht‹ prägen auch das Alter und die soziale Stellung der dargestellten Person die Porträtauffassung.

Die Anstückung des separat gearbeiteten Haarknotens mit Hilfe eines Zapfens ist in antoninischer Zeit belegt (Fittschen – Zanker 1983). Die nachantiken Ergänzungen, insbesondere der Flicken in der rechten Wange, waren dem Originalbestand ursprünglich farblich angeglichen. Ein derartiges Tönungsverfahren, das Materialunterschiede erst nach einer Reinigung hervortreten lässt, war bereits im späten 18. Jh. geläufig (Müller-Kaspar 1988).

(Zimmermann-Elseify 2007)



Literatur:
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 266-268, Kat.Nr. 86.


Letzte Aktualisierung: 05.11.2018



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