|<<   <<<<   21 / 64   >>>>   >>|

Kopf einer Herme



Kopf einer Herme


Inventar Nr.: Sk 111
Bezeichnung: Kopf einer Herme
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: um 450 v. Chr.
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Magna Graecia
Material / Technik: Weißer, feinkristalliner Marmor
Maße: insgesamt 22 cm (Höhe)
(Stirn in Augenhöhe) 10,5 cm (Breite)
äußere Augenwinkel 7,7 cm (Distanz)
Provenienz:Erworben 1960 aus unbekannter sizilischer Privatsammlung


Katalogtext:
Ein dichtes volles Stirnhaar und ein breiter langer Bart umschließen das kleine schmale Gesicht, das heiteren Ernst ausdrückt. Stirn, Augenhöhlen und Wangen sind faltenlos glatt. Die hochliegenden Brauenbögen sind feingratig weich modelliert. Wulstige Lider umranden die schwach konvexen Augäpfel. Die Nase war antik mit glatten Schnitten und ohne Stiftung mit dem Mittelteil des Schnurrbartes angestückt. Unter dem schmalen Mund zeigt die rundliche Kinnspitze zwischen dem nach vorn abstehenden Bart keine plastische Haarangabe.

Das feinsträhnig wellige Stirnhaar ist kompakt von dem Mittelscheitel zu den Seiten gekämmt, bedeckt die Schläfen und den Ansatz des Backenbartes vor den Ohren. Oberhalb der Ohren ist ein Teil nach hinten geführt und bildet vor dem weitgehend weggebrochenen Nackenhaar einen eigenen Strang aus, der an der Ohrmuschel anliegt und frei vor dem Hals leicht nach vorn herabhing, wie die besser erhaltene linke Kopfseite zeigt. Der dichte Haarkranz ist überformt von sieben schräg nach vorn zum Gesicht gerichteten Lockenwellen. Ein wulstiger Reif (Dm ca. 1 cm) trennt Stirn- und Nackenhaar von dem Kalottenhaar ab. Dessen gleichartige Haarsträhnen führen radial von einem Wirbel auf dem Oberkopf ausgehend zum Reif. Zusätzlich überformen vier konzentrische Lockenwellen zwischen Wirbel und Haarreif die Kalotte. Der Bart fängt etwa auf Schnurrbarthöhe an und führt hinauf zur Schläfe bis unter das herabhängende, vor dem Ohr sich stauende Stirnhaar. Die feinen, aber etwas weniger gewellten Strähnen des Backenbartes bilden eine geschlossene und sich verbreiternde Form, deren vermutlich breite Spitze ehemals frei vor dem Hals abstand. Nach der besser erhaltenen linken Seite endete der außen abstehende Bartrand abrupt, dem Umriss des Kinnes folgend. Der Schnurrbart ist in höherem Relief über die Oberlippe gelegt. Seine langen Spitzen hängen herab auf den Backenbart und umschließen rahmend die Mund-Kinn-Partie. Von den feinen Asymmetrien ist der nach rechts verschobene Scheitel besonders deutlich. Im Übrigen scheint der Kopf im Wesentlichen gerade ausgerichtet gewesen zu sein, soweit der vordere Halsansatz in der Bruchfläche noch erkennbar ist. Die frontale Richtung des Kopfes, der breite und nach unten vorstehende Backenbart, der frei nach unten hängende Haarstrang hinter den Ohren lassen erkennen, dass der Kopf im Halsansatz von einem Hermenschaft abgebrochen ist. Die Haar- und Barttracht insgesamt, der Reif und die idealisierte alterslose Physiognomie sind charakteristisch für Hermes. Dieser Kopf mit Hals ist zu einem Kultmal mit pfeilerförmigem Hermenschaft zu vervollständigen, das mit seitlichen Armstümpfen, männlichem Glied und nicht selten mit Inschrift versehen an Kreuzungen von Wegen, an Grenzen und Zäunen, an Eingängen, an Gräbern und auch als Urkundenträger aufgestellt wurde.

Um diesen Hermeskopf genauer in die großgriechische und regionale Formtradition einzuordnen, wären lokalisierte und datierte Parallelen erwünscht (Berger 1962). Die allgemeine stilistische Einordnung in die frühklassische Kunst des Strengen Stiles, der in Großgriechenland den motivischen und bildhauerischen Vorbildern der Spätarchaik länger verhaftet bleibt als das mutterländische Griechenland, sieht unseren Hermes in typologischer und stilistischer Nähe zum archaischer wirkenden und weniger differenziert ausgeführten Hermenkopf Kopenhagen 2822 (zuletzt Willers 1975). Die Stirnhaartracht weicht von den mutterländischen Hermes-Hermen der spätarchaischen und der archaisierend frühklassischen Zeit ab. In deutlich abgewandelter Form tritt die von einem Mittelscheitel zur Seite gestrichene Stirnhaartracht – jedoch sind die Stirnlocken stärker isoliert, differenzierter bewegt oder Teil einer aufwendigeren Stirnhaarfrisur – gelegentlich bei Männern auf. In der Regel tragen weibliche Köpfe in der Spätarchaik und Klassik das vom Mittelscheitel in fein gewellten Strähnen und kranzförmigen Lockenwellen von der Stirn über die Schläfen nach hinten gelegte Haar. Diese Haarwiedergabe ist in Verbindung mit der fließend weichen Modellierung des Gesichtes und den markant wulstigen Lidern ein Kennzeichen westgriechischer Plastik in dieser Zeit (Rolley 1996, De Miro 1996, Guzzo 2002).

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 42, Kat.Nr. 3.


Letzte Aktualisierung: 15.04.2024



© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum