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Athena / Minerva



Athena / Minerva


Inventar Nr.: Sk 14
Bezeichnung: Athena / Minerva
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung:
Datierung:110 - 130
Griechisches Vorbild:griechisches Vorbild
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Römisches Reich
Material / Technik: Weißer, fein- bis mittelkristalliner Marmor mit horizontalen grauen Streifen
Maße: insgesamt 119 cm (Höhe)
Torso 109 cm (Höhe)
Provenienz:Erworben 1777 durch Landgraf Friedrich II. in Italien.


Katalogtext:
Der Torso der frontal stehenden Athena ist mit einem vermutlich zu ergänzenden korinthischen Helm zu einer Statue von ca. 1,30–1,40 m Höhe zu vervollständigen. Die Göttin mit schuppenloser Brustägis trägt den dorischen Peplos mit Überschlag (Apoptygma) und Bausch (Kolpos). Die Gürtung unter dem Bausch bleibt unsichtbar. Nach Ausweis des Nackenzopfes auf dem Rückenpanzer war der Kopf leicht zur linken Seite gewendet. Der rechte Oberarm war erhoben und zur Seite gestreckt; vermutlich hielt die Göttin mit der erhobenen rechten Hand eine aufgestellte Lanze an ihrer Spielbeinseite. Der anliegende linke Oberarm ist etwas zurückgenommen; der Unterarm war im Taillenbereich vorgestreckt und trug in der Hand ein Attribut (Spendeschale?, Eule?). Die Hüfte der Standbeinseite lädt ein wenig aus; die Schulter ist gesenkt. Die zweiteilige Ägis bedeckt symmetrisch die Brust und wird in der Mitte von einem Gorgoneion als Schließe zusammengehalten. Das langhaarige rundliche Medusenhaupt schmücken hochstehende spitze Flügel. Die Spitzen der kleinen Bögen am Rande der Ägis enden in Vorderleibern sich ringelnder Schlangen. Die beiden Teile des Brustpanzers sind auf den Schultern durch Schlangenleiber mit dem Rückenpanzer verknotet. Er bedeckt flach anliegend und rechteckig kaum mehr als die Schulterblätter; einige Peplosfalten zeichnen sich durch den Panzer ab; an den Ecken unten setzt hakenförmig einwärts gekrümmt jeweils eine kurze Schlange an.

Den Überschlag beleben vorn einige wenige vertikale Faltenstege und seitlich gereihte Falten. Unter der entblößten rechten Achsel bedecken bogige Hängefalten des Überschlages den auf dieser Seite vermutlich offenen Peplos. Den herabhängenden Gewandzipfel schmückt eine Quaste. Unter dem Apoptygma kommen vorn und hinten als schmale Streifen die stark gewellten Falten des Kolpos hervor. Senkrechte Steilfalten verhüllen das Standbein. Wenige vertikale Zugfalten auf dem vorkragenden Oberschenkel und einige schlichte Bogen- und Staufalten am Unterschenkel umspielen das Spielbein. Der Peplos reicht bis auf die Plinthe. Je eine Knickfalte liegt auf den Füßen mit hohen, vorn gekerbten Sandalen. Von dem leicht auswärts gestellten Spielbeinfuß ist die vordere Hälfte mit den Riemen, von dem Standbeinfuß sind nur zwei Zehenspitzen zu sehen.

Diese Athena in unterlebensgroßem Format ist von kräftiger Statur. Der dorische Peplos mit Apoptygma und Kolpos verstärkt die voluminöse Gestalt. Das Gewand verdeckt die Körperformen durch seine schwere Stofflichkeit. Die kräftigen plastischen Formen sind stellenweise von scharfen Bohrrillen begleitet. Die konvexen Faltenstege heben sich schwerfällig vom Körper oder von der Gewandmasse ab. Die steifen Vertikalfalten unterhalb des Kolpos werden in der Figurenmitte vorn und hinten von geraden konkaven Rinnen bis maximal in Kniehöhe unterteilt. Die insgesamt weiche bis teigige Modellierung der vereinfachten, teils dick stofflichen Draperie ist charakteristisch für eine traianisch-frühhadrianische Stilrichtung, wie an weiblichen Gewandstatuen zu beobachten ist (Kruse 1975). Auch die gewellten, dick aufgetragenen, tütenähnlich geöffneten Kolposfalten begegnen z. B. an der Ceres/Sabina aus Bulla Regia in dieser Zeit. Bieber bewertet die Athena als mäßige römische Arbeit nach einem Typus des späten 4. oder des 3. Jhs. v. Chr. und verweist für die »gleiche Gewandanordnung, Faltengebung, Stellung und Proportionen« auf die 1,31 m hohe Gewandstatue Museo Chiaramonti 686 (Bieber 1915, 25). In der unteren Hälfte stimmt diese Figur mit der Athena in dem Standmotiv und der Gewandung annähernd überein, weicht aber in der oberen Hälfte motivisch (eine runde Platte servierend vor sich tragend) und durch andere Tracht (kurzärmliger geknöpfter Chiton unter dem Überschlag) und durch Schulterlocken völlig ab. Auch in der Wiedergabe der unteren Figurenhälfte unterscheiden sie sich in den Detailformen der Bauschfalten des Kolpos, der Zugfalten des Spielbeines und der Vertikalfalten auf der Standbeinseite vorn und hinten so deutlich, dass eine direkte motivische Abhängigkeit oder eine stilistisch zeitgleiche bildhauerische Ausführung – die Gewandstatue wird in das späte 3. Jh. n. Chr. datiert (Andreae 1995) – auszuschließen sind. Die motivischen Ähnlichkeiten vom Apoptygma-Saum abwärts bewegen sich in dem Spektrum von Peplophoren mit gleichem Standmotiv wie z. B. bei Demeter/Ceres (Beschi 1988, de Angeli 1988).

Rundplastische Darstellungen von Athena in dieser Peplostracht sind selten. In der Regel trägt die Stadtgöttin die attische/ionische Peplostracht (s. Kat. 1.5). Der dorische, nicht übergürtete Peplos erfreut sich besonderer Wertschätzung in der Periode des Strengen Stils und wird in späteren Epochen sowohl motivisch als auch stilistisch vor allem für Karyatiden, Demeter, Prokne, Eirene oder für rückbezügliche, der Klassik huldigende Statuenmotive wie Artemis Typ Candia, Danaiden, Ceres etc. verwendet (Weber 1938, Tölle-Kastenbein 1980, 1986, Berger 1990). Zu den wenigen Statuen der Athena im gleichen Gewand, Stand- und Haltungsmotiv gehören die großplastischen Torsen Athena Madrid Prado und Rom Mus. Naz. 609, die mit anderen Ägisformen ohne Gorgoneia, aber in der Gewandwiedergabe einschließlich des flachen Kolpos auf frühklassische Peplophoren zurückgehen (Despinis 2001, Schröder 2004). Eine zweigeteilte, Brustpanzer ähnliche Ägis, von einem Gorgoneion als Schließe zusammengehalten, trägt Athena seit hochklassischer Zeit (vgl. Athena Parthenos, Athena Typ Farnese, Athena Typ Velletri). Der hervortretende, stark gerundete Kolpos ist häufig an Figuren des 4. Jhs. v. Chr. zu beobachten und wird seit augusteischer Zeit insbesondere an den römischen Neuschöpfungen als eigenwertiges Element der Tracht plastisch hervorgehoben (Martin 1988). Die wellig und kragenartig umgeschlagenen Ränder und Zipfel am Gewand der Kasseler Athena sind in jener Zeit nicht zu belegen. Sie dürften wie das hochgestellte Flügelpaar mit den nach oben weisenden Spitzen der traianisch-hadrianischen Zeit zuzuweisen sein (Buschor 1958, Floren 1977).

Repliken zu dieser Athena sind unbekannt, so dass die Annahme, die römische Statue sei eine mäßige Wiederholung eines spätklassisch-frühhellenistischen Figurentypus, lediglich auf der allgemein stilgeschichtlichen Tendenz zu blockhafter geschlossener Form in der 1. Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. zu beruhen scheint. Das in römischer Zeit beliebte und variabel verwendete Gewandmotiv (s. Statue Chiaramonti 686) sowie die zeittypischen Elemente (Kolposform, Gorgoneion, Ägis) und die bildhauerische Ausführung führen dazu, diesen Athena-Torso als eklektisches eigenständiges Werk in Anlehnung an früh- bis hochklassische Vorbilder einzuschätzen.

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Bieber, Margarete: Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915, Kat.Nr. 31.
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 180-182, Kat.Nr. 52.


Letzte Aktualisierung: 29.03.2023



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