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Knabe



Knabe


Inventar Nr.: Sk 12
Bezeichnung: Knabe
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung:
Datierung:130 - 150 n. Chr.
Griechisches Vorbild:430 - 420 v. Chr.
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Römisches Reich
Material / Technik: Weißer, feinkristalliner Marmor
Maße: 89 cm (Höhe)
Halsgrube bis Penisansatz 34,5 cm (Distanz)
Halsgrube bis Nabel 24,5 cm (Distanz)
Brustwarzen 16 cm (Distanz)
Provenienz:erworben 1777 durch Landgraf Friedrich II. in Rom bei Thomas Jenkins


Katalogtext:
Der nackte Knabe steht aufrecht in verhaltenem engen Schrittstand. Er hält die beiden gesenkten Oberarme körpernah; die Unterarme scheint er neben den Oberschenkeln geringfügig vorgestreckt zu haben. Den Kopf hatte er dem etwas steileren linken Halsansatz zufolge etwas nach links gewendet. Das linke Spielbein setzt er ein wenig zur Seite, wobei er den Oberschenkel minimal vorstreckt und den Unterschenkel zurücknimmt. Entsprechend der Beinstellung ist der Körper gegensätzlich und ausbalanciert ponderiert. Auf der Standbeinseite mit angehobenem gewölbten Becken ist der Oberkörper gestaucht und die rechte Schulter gesenkt. Auf der Spielbeinseite mit enlastetem Becken ist der Oberkörper über der Taille gestreckt und die angespannte linke Schulter erhoben. Der Körper mit Pubes ohne Schamhaar und kleinem Geschlecht gibt einen Epheben wieder, der seiner Muskulatur nach das gymnisch-sportliche Training bereits aufgenommen hat. Vorn bestimmen knappe feste Formen in segmentartigen Gliederungen den bogig bewegten Rumpf, hinten formen komplementäre kräftige Muskelpartien und ein S-kurvig bewegtes Rückgrat eine weichere, durchgängig fließendere Körpergestalt.

Haltung, Bewegung und Ponderation sowie die gegensätzliche Ausformung der Vorder- und Rückseite des Rumpfes weisen unseren Torso als Wiederholung des Figurentypus Dresdener Knabe aus. Im Format ist er auf ca. 1,10 m Höhe gegenüber dem 1,51 m großen Vorbild Dresden Hm 88 reduziert (Berger 1992). Wie bei dem anscheinend ebenso verkleinerten Torso Brunswick (Linfert 1990, Nr. 119 Abb.) ist der differenzierte Bewegungsablauf der Körperglieder vereinfacht und der Rumpf steiler aufgerichtet. Die im Vergleich mit der großformatigen Replikenserie abgeschwächten Akzentuierungen und die Verkleinerung erwecken den Anschein weiterer Verjüngung. Das Vorbild ist insgesamt in mindestens elf römischen Wiederholungen (1 Statue, 7 Körperrepliken, 2 verkleinerte Versionen, 1 Kopf) überliefert (Zanker 1974, Berger 1992, Vorster 1993). Aufgrund spiegelbildlicher Zitate in der römischen Kaiserzeit könnte für das Vorbild ein Schabeisen (Strigilis) in der rechten Hand zu ergänzen sein, und damit wäre es als Idealfigur eines Palästriten zu deuten. Das Standmotiv und die Haltung des Kopfes übernimmt eine Pan/Paniskos-Statue der ›Polykletschule‹ (Linfert 1990). Statuarische Nachbildungen bzw. Umbildungen der Kaiserzeit verwenden den Typus für Eros (?) mit Schwertband und Flügeln sowie weitere mythologische Adaptionen.

Seit langem bemüht sich die Forschung darum, die Beziehung des Statuentypus Ephebe Dresden zu dem motivisch, typologisch und stilistisch verwandten Figurentypus Ephebe Westmacott zu klären (s. Sk 87). Beide Figuren treten in der Kaiserzeit als Pendantfiguren auf und werden in der eklektischen Gruppe von San Ildefonso partiell zitiert. Der Ephebe Dresden wird wegen seiner etwas athletischeren Körperbildung und der dem Doryphoros verpflichteten Beinstellung und Ponderation mit gesenkten Oberarmen für die ältere der beiden Knabenstatuen gehalten. Der Ephebe Westmacott in seinem grazileren und seitenverkehrten Aufbau mit einem erhobenen Arm gilt eher als ein selbständigeres, stilistisch etwas jüngeres Werk. Über die Zusammengehörigkeit oder die Abhängigkeit der beiden Figurentypen wie über die Datierungs- und Meisterfrage wird kontrovers diskutiert (s. Sk 87). Die motivisch unvollständigen Repliken und die geringe Kenntnis von Befunden und historischen Kontexten der römischen Wiederholungen gestatten derzeit nicht, ohne grundlegend neue Bestandserfassung den Anteil zeittypischer Elemente an den Kopien so exakt zu bestimmen, dass ihre ikonographischen und stilistischen Gemeinsamkeiten bezüglich des vermuteten Vorbildes hinreichend zu erschließen sind.

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Bieber, Margarete: Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915, Kat.Nr. 9.
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 73.74, Kat.Nr. 11.


Letzte Aktualisierung: 15.04.2024



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