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Asklepios im Himation Typ Campana



Asklepios im Himation Typ Campana


Inventar Nr.: Sk 10
Bezeichnung: Asklepios im Himation Typ Campana
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung:
Datierung:100 - 130 n. Chr.
Griechisches Vorbild:150 - 100 v. Chr., hellenistisch (GND: 4024313-8)
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Weißer, fein- bis mittelkristalliner Marmor
Maße: Torso 90 cm (Höhe)
Provenienz:Erworben 1777 durch Landgraf Friedrich II. in Rom


Katalogtext:
Die männliche bekleidete Figur mit teils entblößtem Rumpf steht frontal auf einer ovalen Plinthe, das rechte Standbein etwas zurückgesetzt, das Spielbein mit dem vorkragenden Knie ein wenig vorgesetzt. Beide auswärts gestellten Füße mit von Quer- und Längsbändern gesicherten Sandalen stehen mit ganzer Sohle auf der nach vorn geringfügig abschüssigen Plinthe. Ein bogiger Mantelbausch bedeckt den Unterkörper und lässt dennoch die abgesenkte linke Spielbeinhüfte erkennen. Der Rumpf zeigt mit leichter Biegung zur Standbeinseite eine Gegenbewegung an, die eine Anhebung der bekleideten Schulter und Absenkung der nackten Schulter auf der Standbeinseite bewirkt. Beide Oberarme sind nach unten gerichtet, der nackte rechte freiplastisch von der Achsel abwärts, der linke vom Mantel bedeckt und bis zur Beuge am Körper anliegend. Unterarme, Hände und Attribute fehlen. An den Rändern der tiefliegenden Halsschnittfläche und an der Schulterbewegung ist noch zu erkennen, dass der Kopf zur Standbeinseite gewendet war und das Haar im Nacken wohl bis zur Schulter reichte.

Der Mantel umschließt die Statue bis auf die nackte Rumpffront. Unterkörper und Beine sind vorn vom reich drapierten Gewand mit Kaskaden-, Zug- und Steilfalten umspielt. Über den Füßen ist der Mantelsaum vorn ein Stück umgeschlagen. Im Hüftbereich ist das Manteltuch zu einem bogigen Bausch gestaut. Daraus hängt ein dreieckiger Überschlag mit Saum von der rechten Hüfte herab bis zum linken Oberschenkel und endet außen neben dem Unterschenkel mit einer Quaste am Gewandzipfel. Der Mantelbausch führt von der Standbeinhüfte über den Rücken diagonal zur linken Schulter und hängt vorn von der Schulter bis zum Oberschenkel des Spielbeins nahezu senkrecht herab; sein fast freiplastisches Ende ist verloren. Vom Mantelbausch auf der Spielbeinhüfte steigt ein Gewandteil zur linken Schulter, überlagert von dem gegenläufigen Mantelzipfel, und fällt als breite Bahn auf der linken Rückenseite bis zur Plinthe herab. Diese Anordnung vermittelt zwischen den senkrechten Faltenbahnen auf der linken Figurenseite und den wenigen diagonalen Staufalten des bodenlangen Gewandes der ansonsten recht summarisch geformten Rückseite der Statue. An dem Kasseler Torso sind einerseits die knappe, insbesondere die zusammenfassende Modellierung der auf Rück- und Nebenseiten sowie die stärker differenzierende, plastischere Formgebung der Vorderseite bildhauerisch-ökonomisch zu erklären, andererseits in Zusammenhang mit dem handwerklich-technischen Einsatz von Bohr- und Meißelarbeit für die traianisch-hadrianische Bildhauerkunst bezeichnend.

Die Bestimmung als Asklepios ist mit annähernd 40 Wiederholungen gesichert, obwohl der Figurentypus auch für römische Porträts und Umbildungen sowie für neuzeitliche Ergänzungen bei fragmentarisch erhaltenen Wiederholungen verwendet wurde (Vorster 1993). Die gesenkte rechte Hand hielt frei einen neben dem Standbein abgesetzten Knotenstock, um den sich die Aesculapnatter schlängelte. Die Fehlstelle außen am Standbeinknie könnte von einer hier antik angestückten Verbindung zum Knotenstock oder Schlangenleib herrühren. In der wohl vorgestreckten linken Hand wäre eine Schale (zum Tränken der Schlange?, eine Spendeschale des opfernden Gottes?) oder ein anderes Attribut (Ei?) für den Heilgott zu ergänzen. Der zur Standbeinseite gewendete Kopf ist nur an zwei Wiederholungen zweifelsfrei gesichert (Bieber 1913, Kranz 1989). Beide Wiederholungen zeigen den Gott zwar mit dichtem lockigen Haar, das bis zur Schulter herabreicht, aber die Replik Kopenhagen Glyptotek 1418 stellt ihn bärtig, hingegen die kleinformatige Wiederholung Erlangen I 473 unbärtig dar. Ersterer ist mit Kranz höhere Beweiskraft beizumessen, weil der Heilgott seit klassischer Zeit (s. hier Kat. 5.2) in Angleichung an verwandte väterliche Gottheiten mit Bart, fülligem Lockenkranz und einem von mildem Ernst geprägten Gesichtsausdruck dargestellt wird.

Die beträchtliche Variationsbreite in Größe und Formdetails sowie die Umbildungen erschweren die chronologische Bestimmung des zugrunde liegenden Figurentypus Asklepios Campana. Die Forschung hat in den variierenden Repliken stilistisch im Wesentlichen zwei Überlieferungsstränge festgestellt, eine ›klassische‹ und eine ›hellenistische‹ Version. Unser Torso ist wegen des straff modellierten und an klassischen Athletenkörpern sich orientierenden Rumpfes, wegen der vereinheitlichenden Gewandformen und wegen der Gewanddarstellung, welche die Beinstellung und Ponderation betont, der ›klassischen‹ Version zugewiesen. Überdies bildet er mit drei Repliken eine Untergruppe, die den Hüftmantelbausch etwas höher ansetzt und sich damit verstärkt ›klassisch-traditionellen‹ Formtendenzen angleicht. Die ›hellenistische‹ Version wird wegen ihrer gegensätzlicheren, üppigeren Gewandgestaltung, wegen der kleinteiligeren, differenzierenden Körpermodellierung, wegen gelängter Proportionen, tieferliegendem Mantelbausch resp. freier bewegter Hüftpartie für fortschrittlicher und jünger gehalten. Typologisch ist Asklepios mit Hüftbauschmantel bisher weder in klassischer noch frühhellenistischer Kunst bezeugt. Entgegen der älteren Forschungsmeinung, dieser Asklepiostyp sei in hellenistischer Zeit nach einem klassischen Götterbild des 5.–4. Jhs. v. Chr. umgeformt und in römischer Zeit vielfach kopiert worden, wird in der jüngeren Forschung die Entstehung beider Überlieferungsstränge im späten Hellenismus angenommen (Kranz 1989, Vorster 1993). Dafür sprechen die Gewandtracht, die Variationsvielfalt der Repliken, die unterschiedliche Verbreitung beider Überlieferungsstränge und die hellenistische Eigenart des Typus Campana. Die rückgewandten ›klassisch‹ anmutenden Gestaltelemente sind stilgeschichtlich als klassizistische Formtendenzen einzuordnen, die im Späthellenismus einsetzen und sich bis zur mittleren römischen Kaiserzeit verstärken. Die Variationsbreite der Repliken, d. h. der Mangel an maßgetreuen Kopien nach einem vorbildlichen opus nobile, bekräftigen die späte Entstehungszeit und die hierfür konstatierte, lebendig zitierende Adaption eklektisch komponierter und weit verbreiteter Bilder des Heilgottes und ihm verwandter väterlicher Gottheiten.

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Bieber, Margarete: Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915, Kat.Nr. 14.
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 131-133, Kat.Nr. 35.


Letzte Aktualisierung: 12.05.2023



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