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Faustina Minor



Faustina Minor


Inventar Nr.: ALg 289
Bezeichnung: Faustina Minor
Künstler / Hersteller: unbekannt
Dargestellt: Faustina II. Kaiserin des Römischen Reichs (130 - 176), Dargestellt
Datierung: kurz vor 160 n. Chr., mittelantoninisch
Epoche/Stil:mittelantoninisch (GND: 118503499)
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Rom
Material / Technik: Weißer-cremefarbener, feinkörniger Marmor
Maße: 56,5 cm (Höhe)
ohne Büstenfuß 43 cm (Höhe)
Kinn bis Scheitel 23,5 cm (Höhe)


Katalogtext:
Der etwa lebensgroße Kopf einer Frau ist ungebrochen mit dem Mittelstreifen seiner Büste erhalten, deren breite Rückenstütze nach oben hin weit ausschwingt. Die Büste ist mit einer Tunika bekleidet, die sich in breite knittrige Falten legt.
Auf einem schlanken Hals sitzt der leicht nach links gewandte Kopf. Das ovale Gesicht weist die entsprechenden Asymmetrien auf. Die starke Verjüngung der vollen Wangen im Bereich des Untergesichtes ist auf die nachantike Überarbeitung zurückzuführen. Besonders betroffen ist die rechte Seite zwischen Mund und Kinn. Der Übergang zum Hals ist eher mollig ausgebildet.

Unter den hochgezogenen, ebenfalls nachantik übergangenen Brauenbögen liegen in weiten offenen Mulden mandelförmige Augen mit vorgewölbten Augäpfeln. Die flachen Oberlider sind weit herabgezogen. Dicht unter ihnen sitzt die Pupillenbohrung. Dadurch entsteht ein schläfriger Blick, der leicht aufwärts ins Unbestimmte gerichtet ist. Die äußeren Augenwinkel fallen etwas ab. Die Unterlider gehen weich und ohne plastischen Absatz in die Wangen über.
Die Lippen des kleinen Mundes sind ebenfalls kaum abgesetzt, ihre Konturen scheinen zu verschwimmen. Die fein geschwungene Oberlippe überragt die vollere Unterlippe. Die Mundwinkel sind leicht nach unten gezogen und verleihen dem Gesicht einen etwas abschätzenden Ausdruck. Er ruft gemeinsam mit dem Blick eine aristokratische, distanzschaffende Wirkung hervor.

Insgesamt zeigt das Gesicht ein weiches faltenloses Inkarnat. Trotz der nachantiken Reinigung ist die ursprünglich feine Modellierung der Oberfläche noch erkennbar.
Das Haar bildet eine voluminöse Masse, unter der die Ohrläppchen hervorschauen. Es ist in der Mitte gescheitelt. Von der Stirn zieht sich ein eng gewellter Haarkranz zum Nacken hin. Das etwas flacher angelegte Kalottenhaar ist vom Scheitel aus im rechten Winkel auf den Haarkranz zugekämmt, aus dem sich am Nacken zu beiden Seiten eine Kringellocke löst. Im Nacken sind die Stränge des Haarkranzes miteinander verschlungen und zu einem massigen, relativ hoch sitzenden Knoten verflochten. Er ist oval geformt und flach. Das Haar zeigt eine präzise, lebhafte Binnenzeichnung und ist durch feine Rillen an der Oberfläche in wellige, etwas kantige Strähnen gegliedert.

Anhand der Frisur, der Augen- und der Mundpartie läßt sich die Büste eindeutig als Porträt der Faustina Minor (130-175 n. Chr.) identifizieren. Sie war die Tochter des Kaisers Antoninus Pius (reg. 138-161 n. Chr.) und seiner Gattin Faustina Maior („die Ältere“). 145 n. Chr. wurde Faustina Minor („die Jüngere“) mit dem späteren Kaiser Marc Aurel (reg. 161-180 n. Chr.) verheiratet. Eines ihrer zahlreichen Kinder war der Thronfolger Commodus (reg. 180-192 n. Chr.).
In der Münzprägung existieren neun verschiedene Bildnistypen der Faustina Minor, von denen in der Rundplastik bislang acht nachgewiesen sind (Fittschen 1982, 17 ff.). Sie definieren sich in erster Linie durch ihre jeweilige Frisur. Das Kasseler Bildnis ist aufgrund seiner Haartracht dem Typus VI zuzuordnen (vgl. Goette). Er tritt in der Münzprägung nur selten auf und ist bisher erst in zwei relativ sicheren rundplastischen Exemplaren belegt (Fittschen 1982, 53 ff.; Goette).

Die Kasseler Faustina ist daher eine wichtige, zudem qualitätvolle Bereicherung der bislang eher dünnen Überlieferung zum Bildnistypus VI der Kaiserin. Im Gegensatz zu den beiden anderen Wiederholungen in Stockholm und Cambridge zeigt das Kasseler Porträt mit seinem verschleierten Blick und seinen leicht herabgezogenen Mundwinkeln individuelle physiognomische Merkmale. Bisher galten sie erst vom Bildnistypus VII an als charakteristisch für die Ikonographie der Faustina Minor (vgl. Fittschen 1982, 52. 58. 66).

Die Münzen mit dem Porträt der Kaiserin im Typus VI feiern ihre sechste Kindsgeburt im Jahre 158 n. Chr. (Fittschen 1982, 41 f.; Fuchs 1986, 856; Goette). Der neue Bildnistypus wurde wohl anläßlich dieses Ereignisses geschaffen (Fittschen 1982, 41. 43). Die geringe Zahl seiner Repliken könnte damit zusammenhängen, daß das Kind - ein Junge - bald nach seiner Geburt starb (Fuchs 1986, 856; Goette). Bereits 161 n. Chr. wird der Typus VI von dem außerordentlich erfolgreichen Typus VII abgelöst, der entweder mit der Geburt männlicher Zwillinge (Fittschen 1982, 42) oder mit Marc Aurels Regierungsantritt im gleichen Jahr zu verbinden ist (Ameling 1992, 163). Daraus ergibt sich eine Datierung der Kasseler Porträtbüste in die Jahre kurz vor 160 n. Chr. Zweifel an der Verbindung des Typus VI mit einer Geburt (Ameling 1992, 163) haben keine Auswirkung auf seine zeitliche Einordnung.
Die Menge der insgesamt erhaltenen Porträts und die ungewöhnlich hohe Zahl von neun Typen zeigen die große Bedeutung der Faustina Minor in der Propaganda des antoninischen Herrscherhauses, zumal sich seine übrigen Mitglieder mit weniger Bildnistypen begnügen (vgl. Fittschen 1982, 17. 65).

Als Anlaß für die Schöpfung neuer Faustinaporträts gilt jeweils die Geburt kaiserlichen Nachwuchses (Fittschen 1982, 18. 67; Schröder 1993, 238), auch wenn Zweifel an einem generellen Zusammenhang laut geworden sind (Ameling 1992, 147 ff.). Einwände gegen die Übertragung der These auf Faustinas Tochter Lucilla (Ameling 1988, 70 zu Fittschen 1982, 69 ff.) widerlegen nicht ihre Gültigkeit für die Bildnisschöpfungen der Mutter.
Die Porträttypen der Faustina haben vor allem eine dynastische Funktion. Sie sollen der Bevölkerung die Fecunditas Augustae („Fruchtbarkeit der Kaiserin“) und ihres Hauses bewußt machen. Sie sollen die Gewißheit vermitteln, daß die Kontinuität einer Regierung gesichert sei, die Frieden und Wohlstand verheißt (Fittschen 1982, 43. 67).

Der schläfrige Blick der Faustina kennzeichnet auch die Porträts ihrer Mutter, ihres Gatten und Cousins Marc Aurel sowie ihres Sohnes Commodus (vgl. Fittschen – Zanker 1983, 13 f.). Er ist also nicht so sehr ein individuelles Merkmal als vielmehr ein Familienkennzeichen (vgl. Fittschen 1982, 66). Seine Wiedergabe ist aber wohl nicht nur durch Familienähnlichkeit bedingt sondern auch Teil der dynastischen Propaganda des antoninischen Hauses.

Ein ähnliches Phänomen läßt sich zuvor bei Bildnissen der julisch-claudischen Herrscherfamilie beobachten (Bergmann 1982, 143).
Das weiche faltenlose Inkarnat, die fehlende Begrenzung von Einzelelementen und die feine Binnenzeichnung des Haars sind dagegen Merkmale des Zeitstils. Sie kennzeichnen auch zahlreiche mittelantoninische Privatporträts (vgl. Fittschen – Zanker 1983, zu Nr. 121; Scholl 1995, 69). Vor allem in der Haarmode übt das Bildnis der Kaiserin eine große Wirkung auf das ‘Zeitgesicht’ aus. Selbst die Frisur des kurzlebigen Typus VI erscheint umgehend in zeitgenössischen Privatbildnissen (Fittschen 1982, 53 f. 68; Fittschen – Zanker 1983, Nr. 114. 116).

Die Ergänzungen und Überarbeitungen der Kasseler Porträtbüste sind aufgrund ihrer Ausführung wohl bereits im 18. Jh. vorgenommen worden. Die Vervollständigung des Gewandes entspricht antiken Vergleichsbeispielen, das Büstenformat ist jedoch für Werke des 2. Jhs. n. Chr. zu klein (vgl. Goette). Es entspricht eher solchen des späteren 1. Jhs. n. Chr.

(Zimmermann-Elseify 2007)



Literatur:
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 258-260, Kat.Nr. 83.


Letzte Aktualisierung: 18.06.2020



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