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Deckelschale mit Kameenbesatz



Deckelschale mit Kameenbesatz


Inventar Nr.: KP B II.589
Bezeichnung: Deckelschale mit Kameenbesatz
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: um 1640/1650
Objektgruppe: Gefäß
Geogr. Bezug: Skandinavien (?)
Material / Technik: Gold; transluzides und opakes Email; Achat- und Sardonyxkameen; Muschel
Maße: 11,4 cm (Höhe)
9,9 cm (Breite)
20 cm (Länge)
823,8 g (Gewicht)


Katalogtext:
Die elegante Deckelschale zählt zu den wertvollsten und gleichzeitig rätselhaftesten Meisterwerken der Kasseler Sammlung. Ihr Gefäßkörper aus Gold ist mit opakem weißem Email überzogen, auf das in größter Virtuosität Tulpen sowie weitere Blüten und Blätter gemalt sind. 96 Kameen und Muschelschnitte zieren die Oberfläche. Vier Delphine mit transluzidem grünem Email heben den Schalenkörper empor, zwei weitere bilden ihre Handhaben.
Der Kameenbesatz folgte ursprünglich möglicherweise einem ikonographischen Programm, wurde durch spätere Veränderungen aber verunklärt. Auf dem Deckel umrahmen zwei Reihen eine zentrale Kamee mit der Darstellung des römischen Kaisers Caracalla (188–217). Der äußere Ring gibt die zwölf Tierkreiszeichen in Gestalt antiker Planetengötter wieder, der innere stellt Begebenheiten der römischen Geschichte dar. Auf der Wandung fallen die zentralen Kameen mit dem „Parisurteil“ und den „Kentauren und Lapithen“ (oder „Nessus raubt Deijaneira“?) ins Auge, die von Porträtkameen umrahmt werden. Im Zentrum des Fußes sitzt der größte Stein, vermutlich ein byzantinischer Onyx mit Darstellung eines Elefanten, auf dessen Schultern ein Treiber sitzt. Gerahmt wird dieser von zehn Muschelschnitten mit biblischen und mythologischen Themen. Trotz späterer Veränderungen, die eine Deutung erschweren, lässt sich das Programm als eine Tugend- und Herrschaftsallegorie lesen.
Die Schale ist die kleinste in einer Reihe von sechs deutlich größeren, in ihrem Erscheinungsbild aber vergleichbaren Prunkgefäßen mit Kameenbesatz, die sich in den königlichen Sammlungen von Kopenhagen und Stockholm sowie in Leiden erhalten haben. In diese Reihe gehört auch ein weiterer Deckelbecher ehemals in St. Petersburg, der nur noch in einem Aquarell überliefert ist. Die bewegte Geschichte dieser Schalen, wie sie Jørgen Hein 2007 aufgearbeitet hat, weist eine wichtige Gemeinsamkeit auf. Sie alle lassen sich im Besitz von Frauen nachweisen. So hatte die 1716 an Zar Peter den Großen verschenkte, heute verlorene Schale 1661 noch Leonora Christina gehört, einer Tochter Christians IV. von Dänemark. Weitere Schalen stammen aus dem Eigentum der Prinzessin Amalie von Oranien (heute Leiden), der Herzogin Friederike Amalie von Schleswig-Holstein-Gottorf und vermutlich von Charlotte Amalie von Hessen-Kassel, Königin von Dänemark (die letztgenannte heute in Kopenhagen). Die Stockholmer Kameenschale befand sich 1719 im Nachlass der Königinwitwe Hedwig Eleonora von Schweden. So kann vermutet werden, dass auch die Kasseler Schale, die 1767 erstmals im Kasseler Kunsthaus bezeugt ist und damals im Kontext der Kameensammlung in der Medaillenkammer präsentiert wurde, aus dem Besitz einer Frau stammte. Der älteste Inventareintrag von 1791 listet die Schale als „über dem Damen-Schmuck“ stehend auf.
Wo die Kameenschalen gefertigt wurden, ist bislang unklar. Dänemark, Schweden, Prag oder die Niederlande wurden als Entstehungsorte vorgeschlagen. Bei mehreren Schalen führt die Provenienz nach Schweden. Allerdings muss dies keineswegs auf eine Entstehung in diesem Raum hindeuten, zumal die europaweiten Handelsbeziehungen und ein exzellent ausgebauter Kunstmarkt letztlich ganz Europa in Betracht kommen lassen. Klar ist allenfalls, dass solche Kameenschalen schon im frühen 18. Jahrhundert als außerordentlich kostbar galten. Eine Schale aus dem Besitz der Königinwitwe Hedwig Eleonora von Schweden, die die Kasseler Schale an Größe um etwa ein Drittel überragt, wurde im Inventar von Schloss Ulriksdal 1719 mit dem beachtlichen Wert von „6000 silverdaler“ verzeichnet. Sie machte damit rund ein Viertel des Gesamtwertes der Pretiosensammlung dieser Königin aus (Skogh 2013, S. 156, 158).
(Antje Scherner in: Kat. Kassel 2016)



Literatur:
  • Hein, Jørgen: Kameengefäße der Neuzeit in Schloss Rosenborg. In: Mythos und Macht, Berlin 2007, S. 72.
  • Schmincke, Friedrich Christoph: Versuch einer genauen und umständlichen Beschreibung der Hochfürstlich=Hessischen Residenz= und Hauptstadt Cassel nebst den nahegelegenen Lustschlössern, Gärten und anderen sehenswürdigen Sachen. Kassel 1767, S. 152.
  • Steingräber, Erich: Schatzkammern Europas. Weltliche Schatzkammern. München 1968, S. 98, Kat.Nr. 6,7.
  • Link, Eva-Maria: Die Landgräfliche Kunstkammer Kassel. In: Jahresgabe der Hessischen Brandversicherungsanstalt für 1975 (1974), S, Kat.Nr. 13.
  • Herzog, Erich: Kostbarkeiten aus dem Landesmuseum Kassel. Stuttgart 1979.
  • Heilberg, Steffen: Christian IV. and Europe. The 19th Art Exhibition of the Council of Europe.Denmark 1988. Kopenhagen 1988, Kat.Nr. 660.
  • Conforti, Michael [Hrsg.]; Walton, Guy [Hrsg.]: Sweden. A Royal Treasury 1550-1700. Washington 1988, Kat.Nr. 60.
  • Kistemaker, R.[Hrsg.]; Kopaneva N.[Hrsg.]; Overbeek A.[Hrsg.]: Peter de Grote en Holland. Culurele en wetenschappelijke betrekkingen tussen Rusland en Nederland ten tijde van tsar Peter de Grote. Bussum 1996, S. 76,197, Kat.Nr. 124.
  • Hein, Jörgen: "In einem dunklen Keller".Das Schicksal einiger Gottdorfer Familienpretiosen. In: Gottorf im Glanz des Barock. Kunst und Kultur am Schleswiger Hof 1544-1713 1 (1997), S. 268-270, S. 271.
  • Ploeg, P. van der [Hrsg.]; Vermeeren, Carola [Hrsg.]: Princely Patrons. The collection od Frederick Henry of Orange and Amalia of Solms in The Hague. Zwolle 1997, Kat.Nr. ^34.
  • Hein, J; Jonker, M.: o.A. In: Princely Patrons. The collection of Frerick Henry of Orange and Amalia of Solms in The Hague.Mauritshuis Den Haag 6.12.1997 - 29.3.1998, (1997), S. 242-243, S. 242-243.
  • Spielmann, Heinz [Hrsg.]; Drees, Jan [Hrsg.]: Gotdorf im Glanz des Barock, Kunst und Kultur am Schleswiger Hof 1544-1713.kataloge zum 5ojährigen Bestehen des Schlewig-Holsteinischen Landesmuseums auf Schloß Gottorf und zum 400.Geburtstag Herzog Friedrichs III. Schleswig 1997, Kat.Nr. Bd.1 61-62.
  • Schmidberger, Ekkehard; Richter, Thomas; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: SchatzKunst 800-1800. Kunsthandwerk und Plastik der Staatlichen Museen Kassel im Hessischen Landesmuseum. Wolfratshausen 2001, S. 240, Kat.Nr. 104.
  • Schnackenburg-Prael, Heidi: Ein Collier für Königin Luise von Preußen. Wiederentdeckt in St. Petersburg. In: Weltkunst 71 (2001), S. 604-607, S. 606 f.
  • Schütte, Rudolf-Alexander: Die Silberkammer der Landgrafen von Hessen-Kassel. Bestandskatalog der Goldschmiedearbeiten des 16. bis 18. Jahrhunderts in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel / Wolfratshausen 2003, S. 254-261, Kat.Nr. 58.
  • Hein, Jørgen: The Treasure Collection at Rosenborg Castle. The Inventories of 1696 and 1718. Royal Heritage and Collecting in Denmark-Norway 1500-1900. Kopenhagen 2009, S. Bd. III, S. 69.
  • Scherner, Antje [Bearb.]; Cossalter-Dallmann Stefanie [Bearb.]: Aus der Schatzkammer der Geschichte. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Petersberg 2016, S. 88, Kat.Nr. 35.


Letzte Aktualisierung: 02.05.2023



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