Artemis Typ Dresden



Artemis Typ Dresden


Inventar Nr.: Sk 17
Bezeichnung: Artemis Typ Dresden
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung:
Datierung:150 - 170 n. Chr.
Griechisches Vorbild:um 360 v. Chr.
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge:
Römisches Reich
Fundort: Rom
Material / Technik: Weißgrauer, feinkristalliner Marmor
Maße: mit Plinthe 131 cm (Höhe)
Torso 120,5 cm (Höhe)
Provenienz:erworben 1777 durch Landgraf Friedrich II. in Italien.


Katalogtext:
Das frontal stehende Mädchen ist in einen ungegürteten ärmellosen Peplos mit hüftlangem Überschlag gekleidet, über den vorn und hinten ein Köcherband von rechter Schulter zur linken Taille verläuft. Der ehemals erhobene und frei zur Seite gestreckte rechte Oberarm ist nach Ausweis der Replik Artemis Dresden so zu vervollständigen, dass sie mit der Rechten über ihre Schulter nach Pfeilen im Köcher auf dem Rücken greift. In der gesenkten Linken ist die Göttin mit einem seitlich neben dem Körper herabhängenden Bogen zu ergänzen. Die sandalentragenden Füße stehen nahezu auf gleicher Höhe; der rechte Spielbeinfuß ist etwas nach außen gedreht und weit zur Seite gesetzt, die Ferse leicht angehoben. Der Überschlag des Peplos steht in seiner mittleren Bahn mit girlandenförmigen Falten vor; sein Rand fällt zur rechten Spielbeinseite ab. Entlang des Köcherriemens stauen sich auf der Brust kleine Gewandfalten und ein Bausch an der linken Taille. Der straffe Riemen zieht den Überschlag auf der Standbeinseite ein wenig hoch. Auf der rechten Körperhälfte lässt das weite bodenlange Gewand mit feinen Zugfalten den Körper und das Spielbein durchscheinen. Die linke Standbeinseite und der Körper bis zum Köcherband sind stärker von hochreliefierten vertikalen Steilfalten verdeckt. Unter dem erhobenen rechten Arm stoßen die getreppten, teils sich überlagernden Ränder des Peplos in einem schmalen Spalt wie eine Faltenrinne aneinander; das hier offene Gewand verhüllt züchtig den Körper.

Motivische Details der 3 Repliken

Der rechte Fuß bei Sk 16 ist in der Ferse angehoben, passend zum angewinkelt zurückgenommenen, auswärts gerichteten Unterschenkel und dem Gewandsaum auf dem Rist; bei Sk 15 ist der Fuß schräg und seitlich gesetzt; Sk 17 setzt den Fuß flach auf, unpassend zur Unterschenkelstellung und den aufliegenden Gewandsaum vereinfachend. Sandalen mit Einbuchtung der Sohle zwischen den ersten beiden Zehen zeigen Sk 16 und Sk 17, letztere gibt auch Riemen an. Die Plinthen von Sk 15 und Sk 16 sind an den Rändern vorn und auch in der Plinthenhöhe neuzeitlich abgearbeitet, so dass die Sandalen-Fußspitzen nun teils frei vorstehen. Die Saumrillen des Überschlags sind bei Sk 16 und Sk 17 weitgehend neuzeitlich nachgezogen.

Die Rückseiten sind großflächig und summarisch gearbeitet. Bis auf den Tragriemen ist von den Köchern nichts erhalten. Das Köcherband auf dem Rücken ist bei Sk 15 reliefiert; bei Sk 17 ist stattdessen ein Rille gezogen; bei Sk 16 fehlt es wegen des neuzeitlichen Schnittes im Verlauf des Riemens ab der linken Achsel.

Künstlerische und handwerkliche Bewertungen der 3 Torsen sind auch nach der Entfernung der modernen Zutaten und wegen der lediglich abzuschätzenden neuzeitlichen Überarbeitungen nur beschränkt vorzunehmen. Im Vergleich der Motive, der bildhauerischen Qualität und der Marmorsorten zeigen sich Sk 15 und Sk 16 der dritten Replik Sk 17 eindeutig überlegen (so schon Bieber 1915). Die schwächste Ausführung Sk 17 reduziert die Körperbewegung, vereinfacht die Fußstellung, beschränkt sich in der Gewandbehandlung auf geradlinige Faltenbahnen mit stereotyp verwendeten Einzelmotiven und gereihten Bohrrillen. Die Gewandbehandlung bei Sk 16 zeigt eine akzentuierte Differenzierung zwischen den glattflächig modellierten Partien etwa an der rechten Körperseite mit rechtem Oberschenkel und den faltenreichen Gewandmotiven z. B. außen am Knie und Unterschenkel des Spielbeins. Bei Sk 15 wird das Gewand in diesen Bereichen mit vermehrten »knitterigen« (Bieber 1915, 19) Falten im Überschlag und auf dem Oberschenkel dargestellt; die markante, hier schnabelartig formalisierte Bogen-Knick-Falte außen am Spielbeinknie kehrt an Repliken in München und Rom Museo Chiaramonti 16 und 681 wieder. Die kleinen vom Köcherband zusammengeschobenen Fältchen auf der Brust und die vorstehende Faltenbahn in der Mitte des Überschlages sowie die Steilfalten zwischen den Beinen geben beide Repliken Sk 15 und Sk 16 recht übereinstimmend wieder; letztere scheint auch in diesen Gewandpartien etwas weniger detailreich aber zugleich spannungsvoller modelliert.

Die Vergleiche lassen darauf schließen, dass die beiden besseren Kopien Sk 15 und Sk 16 zeitlich nicht weit auseinander liegen und nach dem Gewandstil in früh- bis mittelantoninische Zeit zu datieren sind. Der Torso Sk 17 dürfte wegen der stilistisch stärker in Erscheinung tretenden Bohrarbeit mehr der mittelantoninischen Periode angehören. Die Fundorte der drei bei Hamilton 1777 erworbenen Repliken – ergänzt zu Musen mit Kranz [Sk 15], mit Schriftrolle [Sk 16] und mit Diadem [Sk 17], die zu vergleichendem Sehen eines nur in Attributen variierten Figurentypus einladen – und der vom gleichen Händler 1776 nach London verkauften Replik ›Mänade‹ bzw. ›Ariadne‹ sind nicht bekannt. Ohne Herkunftsangaben und Fundkontexte bleibt die Zuweisung an eine römische Kopistenwerkstatt bzw. deren Bildhauer spekulativ (Bieber 1915). Ausführliche Einzeluntersuchungen und Dokumentationen des antiken Bestandes der statuarischen Replikenserie könnten weitere Aufschlüsse darüber und über die Rückführung der Repliken auf das kopierte Urbild vermitteln.

Von den ca. 30 Wiederholungen überliefern mindestens zwölf Repliken den erhobenen abgestreckten rechten Oberarm und sind analog dem Exemplar Dresden Hm 117 zu vervollständigen, bei dem sich als einzigem der Unterarm mit zum Köcher greifender Hand erhalten hat. Mindestens acht statuarische Wiederholungen und drei Kleinbronzen geben den Figurentyp mit gesenktem rechten Oberarm wieder (Brommer 1950/51, zuletzt Schröder 2004). Einige dieser Exemplare mit gesenktem Arm stellen Isis-Tyche/Fortuna mit ihren Attributen (Steuerruder, Füllhorn) und vermutlich anderen Kopftypen (Schulterlocken) und Kopfhaltungen dar; sie stehen nicht in exaktem Replikenverhältnis zueinander. Die Kleinbronzen, die immerhin in Gewandung, Köcherband und Beinstellung motivisch mit der gesamten Serie ziemlich übereinstimmen, halten mit angewinkeltem Unterarm andere fragmentarische Attribute, die als Fackeln gedeutet wurden (Brommer 1950/51). Die Variationen innerhalb der Gruppe mit gesenktem rechten Arm legen den Schluss nahe, in ihnen römische Umbildungen bzw. Konzeptfiguren zu vermuten, die den Figurentypus eines opus nobile zu Umdeutungen und Neuschöpfungen verwenden. Der Erhaltungszustand der drei Kasseler Torsen gestattet keine zweifelsfreie Entscheidung darüber, ob diese Repliken mit erhobenem rechten Arm motivisch exakt wie die Dresdener Statue Hm 117 mit dem Köcher auf dem Rücken, dem Greifgestus der rechten Hand, dem Bogen in der linken und mit dem gleichen Kopftypus ausgestattet waren. Wenn sie keinen Köcher trugen, ist zu erwägen, ob der formal getreu in Ponderation, Bewegung und Gewandung kopierte Körpertypus auch für römische Motiv-Varianten (Gottheit, Porträt) mit verändert gehaltenen Unterarmen, anderen Attributen und Kopftypen verwendet worden sein könnte – in Analogie zu den stärker den Körpertypus verändernden Isis-Tyche/Fortuna-Athena-Umbildungen und Kleinbronzen.

Aber auch unter diesem Aspekt scheint die Rückführung der motivischen Gemeinsamkeiten aller Wiederholungen und besonders aufgrund der zwölf übereinstimmenden Repliken mit erhobenem rechten Arm auf ein gemeinsames Urbild mit dem Kopftypus Dresden methodisch zuverlässig. Die stilistische Einordnung in die Mitte des 4. Jhs. v. Chr. wird in der Forschung – auch mit Verweis auf die Athena des attischen Urkundenreliefs von 362/61 v. Chr. – wieder überwiegend vertreten (Vierneisel-Schlörb 1979, Meischner 2003, Geominy 2004, Schröder 2004, ablehnend Simon 1984). »Die Urheberschaft des Praxiteles läßt sich für die Dresdener Artemis aus äußeren Gründen ebenso wenig sichern wie aus stilistischen« (Brommer 1950/51, 11), und so wird die Zuschreibung weiterhin kontrovers diskutiert (Schröder 2004 ablehnend, Geominy 2004 zustimmend). Die Verwandtschaft des Kopftypus mit der praxitelischen Knidia ist seit langem bemerkt. Der Statuentypus ist chiastisch ponderiert, aber in spätklassischer Weise modifiziert. Das Bildmotiv mit geringer Raumtiefe entfaltet sich vollständig in der Vorderansicht. In Haltung und Bewegung drückt die Komposition statuarische Ruhe, mädchenhafte Eleganz und in ihrem momentanen, zukünftiges Handeln vorbereitenden Greifgestus machtvolle Präsenz der Göttin Artemis aus.

(Gercke 2007)



Literatur:
  • Bieber, Margarete: Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915, Kat.Nr. 19.
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 89-91, Kat.Nr. 18.

Siehe auch:


  1. Sk 15: Artemis Typ Dresden
  2. Sk 16: Artemis Typ Dresden


Letzte Aktualisierung: 15.04.2024



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