Nautiluspokal "Augsburger Nautiluspokal"



Nautiluspokal "Augsburger Nautiluspokal"


Inventar Nr.: KP B II.76
Bezeichnung: Nautiluspokal "Augsburger Nautiluspokal"
Künstler / Hersteller: Stephan Kipfenberger
Datierung: um 1540
Objektgruppe: Gefäß
Geogr. Bezug: Augsburg
Material / Technik: Silber, gegossen, getriben, punziert, graviert, vergoldet; Nautilus, geschält, mit polierter Perlmuttschicht; opakes (Weiß) und tranzluzides Tiefschnittemail (Blau, Rot, Grün)
Maße: 22,5 x 17,3 x 8,5 cm (Objektmaß)
Fuß 10 cm (Durchmesser)
562,8 g (Gewicht)
Beschriftungen: BZ: Pyr für Augsburg um 1540. BZ und Tremolierstrich befinden sich auf der Unterseite des Fußes (übergoldet).
Signatur: MZ: Z mit Serife am Mittelbalken für Stephan Kipfenberger. Das MZ befindet sich auf der Unterseite des Fußes (übergoldet).


Katalogtext:
Der elegante Nautiluspokal gehörte schon im dem 16. Jahrhundert zu den exotischen Raritäten im Schatz der Landgrafen und zählt bis heute zu den ältesten Beispielen seiner Art. Lange bevor der Fernhandel größere Mengen der schimmernden Molluskenschalen nach Europa brachte, erhielt Landgraf Philipp der Großmütige den gefassten Nautilus von einem Mitglied der Augsburger Kaufmannsfamilie Welser zum Geschenk. Das Silberinventar von 1559 führt ihn unter der Rubrik „Perlmutter“ auf als: „Eine [sic!] so welser geschenckt, hat oben ein vergulten Lewen“ (Drach 1888, S. 14). Anton I. Welser hatte 1498 mit Konrad Vöhlin die Welser-Vöhlin-Gesellschaft gegründet, die 1505/06 im Geleit einer portugiesischen Flotte nach Indien segelte, um Gewürze, Baumwolle, Perlen und Edelsteine zu importieren. Die fremdländische Konchylie könnte damals nach Augsburg gelangt sein, wo sie der Goldschmied Stephan Kipfenberger um 1540 zu einem eleganten Pokal veredelte. Kipfenberger würdigte das rare Tiergehäuse mit einer zurückhaltenden Fassung, die dessen schimmernde Pracht herausstellt. Ein niedriger Schaft, aus dessen kugelförmigem Ende (Nodus) Sirenen und Tritonen hervorkommen, verleiht dem Schatz des Meeres eine thematisch passende Umrahmung. Der kleine grimmige Löwe, der das Meisterwerk bekrönt, wurde indessen als Anspielung auf das hessische Wappentier und als Sinnbild der Stärke gedeutet.
Zu welchem Anlass und von welchem Mitglied der weitverzweigten Welser-Familie Landgraf Philipp den Nautiluspokal erhielt, lässt sich heute kaum mehr klären. Bartholomäus V. Welser (1484–1561), im frühen 16. Jahrhundert Chef der Welser-Handelskompanie, kommt als Schenker ebenso in Frage wie Hans Welser (1497–1559), der als engagierter Zwinglianer eine entscheidende Rolle bei der Reformation Augsburgs 1537 und beim Eintritt der Reichsstadt in den Schmalkaldischen Krieg spielte. Beide Welser waren in der kritische Frühphase der Reformation entweder neutral geblieben oder zum Parteigänger der protestantischen Sache geworden. So könnte Philipp der Großmütige, der 1530 am Augsburger Reichstag teilnahm und schon damals zu den Vorkämpfern der Reformation in Deutschland zählte, auch später Kontakt zu Mitgliedern der Familie Welser gehabt haben. Da der Augsburger Stadthauptmann Sebastian Schertlin von Burtenbach (1496–1577) in Philipps Diensten stand, kommt auch er als Überbringer der kostbaren Gabe in Betracht.
Das Prunkgefäß blieb von großer Bedeutung auch für die nachfolgende Landgrafengeneration. Als Rarität ferner Meere und vielleicht als Symbol für die politischen Verbindungen seines Vaters nahm es Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel spätestens 1584 in den Hessischen Hausschatz auf.
(Antje Scherner in: Kat. Kassel 2016)



Literatur:
  • Lenz, A.: Führer durch den Unterstock der neuen Bildergalerie zu Kassel von A. Lenz, Königlichem Museums=Inspector.
  • Drach, C. Ahlhard: Aeltere Silberarbeiten in den Königlichen Sammlungen zu Cassel. Mit urkundlichen Nachrichten und einem Anhang: Der Hessen-Casselsche Silberschatz zu Anfang des 17. Jahrhunderts und seine späteren Schicksale. Marburg 1888, S. 14.
  • Rosenberg, Marc: Der Goldschmiede Merkzeichen. 1922-1928, S. 332, Kat.Nr. 4.
  • Bushart, Bruno [Hrsg.]: Welt im Umbruch. Augsburg zwischen Renaissance und Barock. Augsburg 1980, S. Bd.2, 581.
  • Seling, Helmut: Die Kunst der Augsburger Goldschmiede 1529-1868. In: Meister, Marken, Werke. 3 Bde. (1980), S, S. Bd.1 76,244; Bd.3 581a, Kat.Nr. Bd.2,103.
  • Pogliano, Claudio; Schade, Sigrid: Le Pompe di Satana. In: KOS.Rivista di cultura e storia delle scienze naturali e umane dirette da Massimo Piattelli Palmarini, Anno II. N.12, marzo 1985. (1985), S. 65-80.
  • Ebert-Schifferer,Sybille [Hrsg.]: Faszination Edelstein. Aus den Schatzkammern der Welt - Mythos, Kunst, Wissenschaft. Darmstadt 1992/93, Kat.Nr. 180.
  • Baumstark, R. [Hrsg.] / Seelig, Lorenz [Hrsg.]: Silber und Gold. Augsburger Goldschmiedekunst für die Höfe Europas. München 1994, Kat.Nr. 56.
  • Mette, Hans Ulrich: Der Nautiluspokal. Wie Kunst und Natur miteinander spielen. München 1995, S. 34-35, Kat.Nr. 146.
  • Schmidberger, Ekkehard [Hrsg.]: Nautilus. Zeitreise im Perlboot. Kassel 1996, Kat.Nr. 5.
  • Lorenz, Angelika: Die Maler tom Ring. Münster 1996, Kat.Nr. 138.
  • Moritz der Gelehrte. Ein Renaissancefürst in Europa [Begleitpublikation aus Anlass der Ausstellung in Lemgo, Weserrenaissance-Museum Schloß Brake, 19. Oktober 1997 - 1. Februar 1998, Kassel, Staatliche Museen Kassel, Orangerie, 6. März 1998 - 31. Mai. Eurasburg 1997, Kat.Nr. 190.
  • Ottomeyer, Hans: Provenance an use of renaissance drinkting vessels in the Kassel Collections. In: Leonor d'Orey [Hrsg.] , European Royal Tables - International Symposium Acts, Museu Nacional de Arte Antga, Lissabon 12-14.12.1996. Lissabon (1999), S. 86-101, S. 98, Kat.Nr. 6.
  • Seipel, Wilfried: Kaiser Karl V. (1500-1558). Macht und Ohnmacht Europas. Wien 2000, Kat.Nr. 323.
  • Schmidberger, Ekkehard; Richter, Thomas; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: SchatzKunst 800-1800. Kunsthandwerk und Plastik der Staatlichen Museen Kassel im Hessischen Landesmuseum. Wolfratshausen 2001, S. 98, Kat.Nr. 31.
  • Schütte, Rudolf-Alexander: Die Silberkammer der Landgrafen von Hessen-Kassel. Bestandskatalog der Goldschmiedearbeiten des 16. bis 18. Jahrhunderts in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel / Wolfratshausen 2003, S. 15, 72-75, Kat.Nr. 7.
  • Scherner, Antje: Pokalspiel. Der Silberschatz der Landgrafen. 21. Mai bis 5. September 2010. In: Jahrbuch 2010 (2011), S. 36-39.
  • Scherner, Antje [Bearb.]; Cossalter-Dallmann Stefanie [Bearb.]: Aus der Schatzkammer der Geschichte. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Petersberg 2016, S. 46, Kat.Nr. 14.


Letzte Aktualisierung: 02.05.2023



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