Trompe l'oeil eines Mezzotinto-Blattes "Le Concert" (nach Philippe Mercier) unter einem zerbrochenen Glas



Trompe l'oeil eines Mezzotinto-Blattes "Le Concert" (nach Philippe Mercier) unter einem zerbrochenen Glas


Inventar Nr.: GK 1232
Bezeichnung: Trompe l'oeil eines Mezzotinto-Blattes "Le Concert" (nach Philippe Mercier) unter einem zerbrochenen Glas
Künstler / Hersteller: Francois-Xavier Vispré (um 1730 - um 1790), Maler/in
Philippe Mercier (1689 - 1760), Inventor, nach
Datierung: 1760 - 1780
Objektgruppe: Gemälde
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Öl
Maße: 38,5 x 42 cm (Bildmaß)
Beschriftungen: Signatur: Vispré


Katalogtext:
Im Zuge der Verbesserung der Glasproduktion im 18. Jahrhundert ließ sich transparentes Flachglas günstiger herstellen. Entsprechend wurde es gebräuchlich, Graphiken zu rahmen und mit einem Glas zu schützen. Die solchermaßen sich wandelnde Präsentation von Graphiken in Sammlungen blieb nicht ohne Auswirkung auf die ausübenden Künstler. Zum einen wurden Druckgraphiken bereits von den Künstlern mit rahmenden Einfassungslinien versehen, die auf eine anschließende Rahmung der Blätter Bezug nahmen. Zum anderen entwickelte sich innerhalb der Trompe-l’Œil-Malerei eine Sonderform mit Darstellungen von gerahmten graphischen Blättern, deren Glas zersprungen ist. Insbesondere in der französischen Kunst erfreute sich dieses Sujet gewisser Beliebtheit. Auf eindringliche Weise wird dem klassischen Thema der Vergänglichkeit eine neue Facette hinzugefügt. Gleichzeitig erweitert sich die malerische Illusion in Richtung des Betrachterraumes. Der gemalten Graphik wird ein ebenfalls nur gemaltes Glas vorgeblendet. Das grünliche Glas ist gesprungen und einige Scherben scheinen schon herausgefallen zu sein. Um diesen veristischen Effekt noch zu erhöhen, sind am unteren Bildrand drei Scherben unter das verbliebene Glas gerutscht. Diese Illusion geht notwendigerweise davon aus, dass das Gemälde in einem Rahmen präsentiert wird. Gemaltes Bild und tatsächlicher Rahmen nehmen also Bezug aufeinander und erzeugen erst gemeinsam den gewünschten Effekt der optischen Täuschung.

Franҫois-Xavier Vispré, der selbst als Maler und Kupferstecher tätig war, hielt sich spätestens seit 1764 in London auf, wo er als Porträtist und Stillleben- und Genremaler arbeitete. Dort dürfte auch das Kasseler Gemälde entstanden sein. Von Vispré haben sich mehrere Trompe-lʼŒil-Gemälde mit zerbrochenen Glasscheiben erhalten, die ein Beleg für die Beliebtheit des Motivs sind. Das Werk der Kasseler Gemäldegalerie zeigt ein Mezzotintoblatt nach einem Gemälde aus einer Serie der Fünf Sinne von Philippe Mercier, die zwischen 1744 und 1747 entstanden ist. Mercier war seit 1716 in England tätig und hatte insbesondere mit diesem Sujet großen Erfolg, worauf mehrere erhaltene Versionen verweisen. Dies spiegelt sich auch in der raschen Reproduktion der Komposition in Form zweier Mezzotintostiche von John Faber II. (1744) und James Watson (um 1760) wider. Vispré nahm sich das frühere Blatt von Faber zur Vorlage, da beide denselben Bildausschnitt zeigen, verzichtet jedoch auf die Angabe des Stechers und setzt selbstbewusst allein seine Signatur unter die fiktive Graphik.

Bemerkenswerterweise sind sowohl das Gemälde des Franzosen Mercier wie auch der Mezzotintostich des aus den Niederlanden zusammen mit seinem Vater ausgewanderten Faber Beispiele für den Kulturaustausch mit dem europäischen Festland. Es mag also kein Zufall sein, dass Vispré, der selbst nach England übersiedelte, gerade dieses Motiv auswählte.

Die veristische Darstellung des zersprungenen Glases eröffnet dem Betrachter Raum für Spekulation. Wurde das Werk versehentlich beschädigt? Oder handelt es sich um einen bewussten Akt der Zerstörung? Es ist nicht zuletzt genau dieses Austarieren von Bedeutungsebenen, aus dem das Gemälde – jenseits aller Illusion und Täuschung des Betrachters – seine bis heute anhaltende Attraktivität zieht.
(J. Lange, 2015)



Literatur:
  • Rosenberg, Pierre: Gesamtverzeichnis Französische Gemälde des 17. und 18. Jahrhunderts in deutschen Sammlungen. Bonn/München 2005, S. 200.
  • Lange, Justus; Carrasco, Julia: Kunst und Illusion. Das Spiel mit dem Betrachter. Petersberg 2016, S. 42, Kat.Nr. 7.
  • Oechsle, Siegfried: Appassionata reflektiert. Beethovens Klaviersonate f-Moll op. 57 gelesen mit Schiller, Hegel und Schelling. In: Buck, Nikolas [Hrsg.]; Thielsen, Jill [Hrsg.]: Selbstreferenz in der Kunst. Formen und Funktionen einer ästhetischen Konstante (2020), S. 165-182, S. 166f.


Letzte Aktualisierung: 26.03.2024



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