Tischarmillarsphäre mit Sonnen- und Mondgetriebe
Tischarmillarsphäre mit Sonnen- und Mondgetriebe
|
Inventar Nr.:
|
APK A 36 |
Bezeichnung:
|
Tischarmillarsphäre mit Sonnen- und Mondgetriebe |
Künstler / Hersteller:
|
unbekannt
|
Datierung:
|
vor 1700; vor 1600 |
Objektgruppe:
|
Armillarsphäre (Astronomisches Instrument) |
Geogr. Bezug:
|
|
Material / Technik:
|
Messing, Eisen |
Maße:
|
210 mm (Durchmesser) 280 mm (Höhe)
|
Katalogtext:
Detailbeschreibung:
Sockel und Ringsystem: Die Armillarsphäre unterscheidet sich von herkömmlichen Instrumenten dieser Art durch ein Sonnen- und Mondscheibchen, die beide mit Hilfe des Getriebes am Ekliptikring entlang bewegt werden. Bei genauerem Betrachten des Getriebes kann man erkennen, dass die Zahnräder besonders gleichmäßig geschnitten und von feinster Qualität sind. Dagegen wirkt der Fuß der Armillarsphäre geradezu nachlässig gearbeitet. Da er auch im Stil nicht so recht zum Ringsystem passen will, darf man vermuten, dass er späteren Datums ist.
Der Horizontring trägt außen die Haupthimmelsrichtungen („Nordt, Nord Ost, Ost, Sud Ost, Sud, Sud West, West, Nordwest“), in der Mitte einen Julianischen Kalender und innen eine 12 x 30°-Skala für die den Monaten zugeordneten Tierkreiszeichen. Die Skalen sind ebenfalls nachlässig gearbeitet, vor allem in den Bereichen Februar und März. Die 12 x 30°-Skala auf dem Ekliptikring ist von ähnlich minderwertiger Qualität. Auffällig ist weiterhin, dass die kugelförmige Verdickung, die in der Mitte der Polachse angedeutet ist, sich zusammen mit dem Lauf des Ringsystems bewegt. Ob diese Bewegung auf einen Schaden zurückzuführen ist oder so vom Konstrukteur vorgesehen war, kann aus heutiger Sicht nicht beurteilt werden.
Getriebe: Das Hauptrad 1 mit 30 Zähnen dreht sich in einem Tag einmal um seine eigene Achse (siehe Abb. 2). Diese eine Umdrehung wird über die Räder 2 (30 Zähne) und 3 (12 Zähne) auf das Rad 4 (48 Zähne) übertragen. Wenn sich also Rad 3 mit 12 Zähnen in einem Tag einmal um seine Achse dreht, schafft es Rad 4 mit dem Vierfachen an Zähnen nur 0,25 mal. Rad 4.1 überträgt diese Viertelumdrehung auf das Ritzel MR 1 (6 Zähne). Es schafft bei einem Verhältnis achtmal mehr Umläufe, also 2 an einem Tag. Über das Rad MR 2 (ebenfalls 6 Zähne) werden diese zwei Umdrehungen auf MR 3 (360 Zähne) übertragen. Damit bewegt sich der Mond an einem Tag um eine Umdrehung rechtläufig auf der Ekliptik. Das entspricht 12° pro Tag.
Das Sonnengetriebe greift in das Rad 4.1 ein, das sich 0,25 mal am Tag weiterbewegt. Diese Viertelumdrehung wird über ein Rad mit 8 Zähnen übertragen auf ein größeres Rad mit 48 Zähnen übertragen. Das Rad mit 8 Zähnen verlangsamt die Bewegung auf 0,04166 Umdrehungen, was auch für das Rad mit 48 Zähnen gilt. SR3 (12 Zähne) bewegt sich gemäß seiner viermal geringeren Zahnzahl viermal schneller, also mit 0,1666 Umdrehungen und überträgt dies auf das Rad SR4 (6 Zähne). SR4 treibt das Sonnenrad (365 Zähne) an. Dies läuft dann mit der um das 60,83-fach langsameren Geschwindigkeit von 0,00273 Umläufen pro Tag. Dies entspricht einer täglichen, rechtläufigen Bewegung des Sonnenscheibchens von 0,986 Grad, was sehr gut die tatsächliche tägliche Bewegung der Sonne auf der Ekliptik wiedergibt.
Kontext:
Alle bisher veröffentlichten Beschreibungen dieser Armillarsphäre datieren sie auf das 16. Jahrhundert und nennen Eberhard Baldewein als den Hersteller. Allerdings gibt es dafür keine Quellenbelege. Gegen Baldewein als Hersteller sprechen die nachlässig gravierten Skalen. Aus seinem Briefwechsel mit Wilhelm ist bekannt, dass Baldewein in seiner Werkstatt gerade die besondere Sorgfalt erfordernde Austeilung der Skalen immer selbst durchgeführt hat. Eine so nachlässige Arbeit wäre von ihm völlig undenkbar.
Es sind nur wenige Armillarsphären mit einem Antrieb für den Mond und die Sonne bekannt. Eine davon steht im Mathematisch-Physikalischen Salon der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie trägt die Signatur „Johannes Möller In Gotha 1687“. Zwischen der Kasseler und der Dresdener Armillarsphäre bestehen auffällige Ähnlichkeiten, allerdings ist das Dresdener Exemplar wesentlich feiner ausgearbeitet. Außerdem bewegt sich die zentrale Erdkugel bei der Bewegung der Sphäre nicht mit. Ob irgendeine Verbindung bei der Herstellung der beiden Instrumente bestanden hat, ist möglich, aber nicht zu beweisen. Wichtig für die Datierung ist, dass der Meridianring bei der Kasseler Armillarsphäre den Datumsring am 11. Juni bzw. 11. Dezember schneidet (siehe Abb. 2). Das bedeutet, dass der Austeilung des Datumsrings der julianische Kalender zugrunde lag. Da der julianische Kalender in den protestantischen Ländern des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1700 durch den Gregorianischen Kalender ersetzt wurde, kann davon ausgegangen werden kann, dass die Armillarsphäre vor 1700 hergestellt wurde. Zum ersten Mal taucht sie im Inventar der mathematischen Instrumente von 1765 auf.
(K. Gaulke, 2018)
Notizen: Ein Vergleich dieser Armillarsphäre mit derselben von Möller Gotha 1684 im Mathematisch-Physikalischen Salon der SKD am 18.02.2005 (anwesend Plassmeyer, Korey, Siebeneicher, Trier, Gaulke) hat folgendes ergeben:
1) Die Möllersche Armillarsphäre ist wesentlich feiner gearbeitet und von der Motivik der künstlerischen Ausgestaltung her auch älter.
2) Bei A 36 sind die Zahnräder mit Hilfe von Kreisteilmaschinen gemacht (Siebeneicher). Dies weist auf das 18. Jahrhundert hin. Da im 1765er-Inventar nicht enthalten, kann man davon ausgehen, dass A 36 nach 1765 vermutlich nach dem Vorbild der Möllerschen Armillarsphäre hergestellt wurde.
3) Die nachlässige Herstellung (Skalen) lässt laut Plaßmeyer auf einen zweitklassigen Augsburger Hersteller schließen.
4) Nach Gaulke muss man die Armillarsphäre eher im Kontext des naturwissenschaftlichen Unterrichts im Collegium Carolinum sehen. Dies erklärt auch die bewegliche Erde und die nachlässige Herstellungsweise.
5) Siehe auch "R.APK.A 36_Scan_Bericht_1972" im MM-Modul des Restaurierungsmoduls. Die Kugel (wie auch die Zahnkränze) wurden 1972 gerichtet.
Literatur:
- Gaulke, Karsten [Bearb.]: Der Ptolemäus von Kassel. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel und die Astronomie. Kassel 2007, S. 208-209, Abbildung S. 210-211.
Letzte Aktualisierung: 02.07.2025