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Tischarmillarsphäre mit Sonnen- und Mondgetriebe



Tischarmillarsphäre mit Sonnen- und Mondgetriebe


Inventar Nr.: APK A 36
Bezeichnung: Tischarmillarsphäre mit Sonnen- und Mondgetriebe
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: vor 1700; vor 1600
Objektgruppe: Astronomisches Demonstrationsinstrument
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Messing, Eisen
Maße: 210 mm (Durchmesser)
280 mm (Höhe)
Beschriftungen: Große Armillarsphären gehören zu den klassischen griechischen Instrumenten zur Bestimmung der Rektaszension und Deklination von Gestirnen. Solch kleine Objekte eignen sich sehr gut zur Demonstration der wichtigsten himmlischen Kreise. Erst in der frühen Neuzeit wurden solche Instrumente mit Getrieben ausgestattet, um die Bewegungsphänomene der Sonne ( scheinbare jährliche Bewegung der Sonne mit ihrer täglichen Bewegung
Diese Armillarsphäre wurde im 20. Jahrhundert fälschlicherweise Eberhard Baldewein zugeschrieben. Ihre nachlässige Herstellung verrät aber, daß sie vermutlich in den 1770er Jahren als Schulobjekt für das Collegium Carolinum angeschafft wurde
Die Armillarsphäre wird als astronomisches Meßinstrument erstmals bei Ptolemaios (130 n. Chr) erwähnt. Sie dienten dazu, die Positionen von Gestirnen in ekliptikaler Länge und Breite zu bestimmen. Auf arabischen Sternwarten fanden sie ebenfalls Verwendung. Es fällt auf, daß auch in Uraniborg und Konstantinopel große Armillarsphären zu Meßzwecken verwendet wurden, in Kassel zur selben Zeit aber nicht. Kleinere Armillarsphären wie diese waren bevorzugte Demonstrationsobjekte, um die himmlischen Kreise zu erklären. Im 17. Jahrhundert wurden Armillarsphären selten mit Getrieben ausgestattet, um die sich aus der scheinbaren jährlichen Bewegung der Sonne und der Tagesdrehung ergebenden Bewegungsphänomenen zu erklären. Vermutlich genau dazu wurde diese Armillarsphäre wahrscheinlich von einem unbekannten Augsburger Instrumentenmacher hergestellt.


Katalogtext:
Detailbeschreibung:

Sockel und Ringsystem: Die Armillarsphäre unterscheidet sich von herkömmlichen Instrumenten dieser Art durch ein Sonnen- und Mondscheibchen, die beide mit Hilfe des Getriebes am Ekliptikring entlang bewegt werden. Bei genauerem Betrachten des Getriebes kann man erkennen, daß die Zahnräder besonders gleichmäßig geschnitten und von feinster Qualität sind. Dagegen wirkt der Fuß der Armillarsphäre geradezu nachlässig gearbeitet. Da er auch im Stil nicht so recht zum Ringsystem passen will, darf man vermuten, daß er späteren Datums ist.
Der Horizontring trägt außen die Haupthimmelsrichtungen („Nordt, Nord Ost, Ost, Sud Ost, Sud, Sud West, West, Nordwest“), in der Mitte einen Julianischen Kalender und innen eine 12 x 30°-Skala für die den Monaten zugeordneten Tierkreiszeichen. Die Skalen sind ebenfalls nachlässig gearbeitet, vor allem in den Bereichen Februar und März. Die 12 x 30°-Skala auf dem Ekliptikring ist von ähnlich minderwertiger Qualität. Auffällig ist weiterhin, daß die kugelförmige Verdickung, die in der Mitte der Polachse angedeutet ist, sich zusammen mit dem Lauf des Ringsystems bewegt. Ob diese Bewegung auf einen Schaden zurückzuführen ist oder so vom Konstrukteur vorgesehen war, kann aus heutiger Sicht nicht beurteilt werden.

Getriebe: Das Hauptrad 1 mit 30 Zähnen dreht sich in einem Tag einmal um seine eigene Achse (siehe Abb. 2). Diese eine Umdrehung wird über die Räder 2 (30 Zähne) und 3 (12 Zähne) auf das Rad 4 (48 Zähne) übertragen. Wenn sich also Rad 3 mit 12 Zähnen in einem Tag einmal um seine Achse dreht, schafft es Rad 4 mit dem Vierfachen an Zähnen nur 0,25 mal. Rad 4.1 überträgt diese Viertelumdrehung auf das Ritzel MR 1 (6 Zähne). Es schafft bei einem Verhältnis achtmal mehr Umläufe, also 2 an einem Tag. Über das Rad MR 2 (ebenfalls 6 Zähne) werden diese zwei Umdrehungen auf MR 3 (360 Zähne) übertragen. Damit bewegt sich der Mond an einem Tag um einer Umdrehung rechtläufig auf der Ekliptik. Das entspricht 12° pro Tag.
Das Sonnengetriebe greift in das Rad 4.1 ein, das sich 0,25 mal am Tag weiterbewegt. Diese Viertelumdrehung wird über ein Rad mit 8 Zähnen übertragen auf ein größeres Rad mit 48 Zähnen übertragen. Das Rad mit 8 Zähnen verlangsamt die Bewegung auf 0,04166 Umdrehungen, was auch für das Rad mit 48 Zähnen gilt. SR3 (12 Zähne) bewegt sich gemäß seiner viermal geringeren Zahnzahl viermal schneller, also mit 0,1666 Umdrehungen und überträgt dies auf das Rad SR4 (6 Zähne). SR4 treibt das Sonnenrad (365 Zähne) an. Dies läuft dann mit der um das 60,83-fach langsameren Geschwindigkeit von 0,00273 Umläufen pro Tag. Dies entspricht einer täglichen, rechtläufigen Bewegung des Sonnenscheibchens von 0,986 Grad, was sehr gut die tatsächliche tägliche Bewegung der Sonne auf der Ekliptik wiedergibt.

Kontext:
Alle bisher veröffentlichten Beschreibungen dieser Armillarsphäre datieren sie auf das 16. Jahrhundert und nennen Eberhard Baldewein als den Hersteller. Allerdings gibt es dafür keine Quellenbelege. Gegen Baldewein als Hersteller sprechen die nachlässig gravierten Skalen. Aus seinem Briefwechsel mit Wilhelm ist bekannt, daß Baldewein in seiner Werkstatt gerade die besondere Sorgfalt erfordernde Austeilung der Skalen immer selbst durchgeführt hat. Eine so nachlässige Arbeit wäre von ihm völlig undenkbar.
Es sind nur wenige Armillarsphären mit einem Antrieb für den Mond und die Sonne bekannt. Eine davon steht im Mathematisch-Physikalischen Salon der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie trägt die Signatur „Johannes Möller In Gotha 1687“. Zwischen der Kasseler und der Dresdener Armillarsphäre bestehen auffällige Ähnlichkeiten, allerdings ist das Dresdener Exemplar wesentlich feiner ausgearbeitet. Außerdem bewegt sich die zentrale Erdkugel bei der Bewegung der Sphäre nicht mit. Ob irgendeine Verbindung bei der Herstellung der beiden Instrumente bestanden hat, ist möglich, aber nicht zu beweisen. Wichtig für die Datierung ist, daß der Meridianring bei der Kasseler Armillarsphäre den Datumsring am 11. Juni bzw. 11. Dezember schneidet (siehe Abb. 2). Das bedeutet, daß der Austeilung des Datumsrings der julianische Kalender zugrunde lag. Da der julianische Kalender in den protestantischen Ländern des Heiligen Römischen Reiches im Jahr 1700 durch den Gregorianischen Kalender ersetzt wurde, kann davon ausgegangen werden kann, daß die Armillarsphäre vor 1700 hergestellt wurde. Zum ersten Mal taucht sie im Inventar der mathematischen Instrumente von 1765 auf.

(K. Gaulke, 2018)



Literatur:
  • Karsten Gaulke (Bearb.): Der Ptolemäus von Kassel. Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel und die Astronomie. Kassel 2007, S. 208-209.


Letzte Aktualisierung: 29.11.2021



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