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Stillleben mit Blumenvase und Taschenuhr



Stillleben mit Blumenvase und Taschenuhr


Inventar Nr.: GK 905
Bezeichnung: Stillleben mit Blumenvase und Taschenuhr
Künstler / Hersteller: Willem van Aelst (um 1625 - um 1683), Maler/in
Datierung: 1656
Objektgruppe: Gemälde
Geogr. Bezug:
Material / Technik: Öl
Maße: 55 x 46,3 cm (Bildmaß)
68,3 x 60,2 x 7,5 cm (Objektmaß)
Provenienz:Herkunft unbekannt, 1954 erstmals in der Sammlung nachgewiesen
Beschriftungen: Signatur: W. V. aelst. 1656


Katalogtext:
Vor dunklem Grund erstrahlt in hellem Licht ein lockeres Bukett aus einzelnen Sommerblumen: Ein prächtiger, zweigliedriger Malvenstengel in pudrigem Rosé dominiert die Komposition, die durch eine farblich korrespondierende Rosenblüte, gelb- und orangefarbene Ringelblumen und weiß-duftigen Schneeball über grün-bläulichem Blattwerk ergänzt wird. Im Schatten des Hintergrunds setzen tiefrote Knospen und ein blau-violetter Rittersporn einen farblichen Kontrapunkt. Der Wechsel aus Licht- und Schattenzonen und die unterschiedliche Ausrichtung der Blüten verleihen dem Arrangement einen dreidimensionalen Charakter. Für spannungsvolle Dynamik sorgen der asymmetrische Blütenaufbau und die kompositorische Diagonale, die sich – kontrastiert durch die gegenläufige Linie des Rittersporns – von der leicht s-förmig geschwungenen Malve über die Rosenblüte bis in das blaue Uhrenband fortsetzt. Die Kostbarkeit der dargestellten Blumen findet in der silbernen Vase mit vergoldetem Übergefäß, der Marmorplatte und der aufgeklappten Uhr mit Bergkristallgehäuse wie auch in der Verwendung der kostspieligen Ultramarinpigmente des Uhrenbandes ihre ästhetische Entsprechung. Im Verbund mit der reduzierten Raumsituation und der sparsamen Auswahl der nahe gerückten Objekte, denen hierdurch umso größere Aufmerksamkeit zuteil wird, entsteht ein Eindruck von erlesener Eleganz und Kostbarkeit. Diese findet in der meisterhaft feinmalerischen, realitätsgetreuen Wiedergabe der Materialitäten und Oberflächen solch verschiedenartiger Objekte ihren beredtsten Ausdruck.
Das Gemälde bezeugt einen mehrfach variierten Typus im Œuvre Willem van Aelsts. War die neue Gattung des Blumenstilllebens zu Beginn des 17. Jahrhunderts von symmetrischen Arrangements und botanischer Präzision geprägt, so stehen van Aelsts innovative, einflussreiche Kompositionen für ein eher dekoratives Interesse an Blumen, welche sich als Sammler-, Spekulations- und Luxusobjekte in den Niederlanden großer Beliebtheit erfreuten.
In der täuschend realistischen Darstellung und der künstlerischen Konservierung von – oftmals nicht zeitgleich blühenden – Pflanzen, die den Gesetzen und der Vergänglichkeit der Natur schöpferisch trotzt, transportiert das Blumenstillleben eine doppelte Illusion. Bei van Aelst reicht diese noch weiter: Sein Bildraum öffnet sich, mithilfe der Plastizität des Straußes und der perspektivischen Verkürzung der Marmorplatte, nicht nur in die Tiefe, sondern auch in umgekehrter Richtung: Dank der Schlaufe des Uhrenbandes über dem Rand der Marmorplatte, welche in ihrer bildparallelen Ausrichtung selbst als ästhetische Bildgrenze wahrgenommen wird, scheint sich die Darstellung in den Betrachterraum hinein fortzusetzen, und damit dem Illusionismus der dargebotenen Naturerscheinungen eine weitere Dimension hinzuzufügen. Die Einzelmotive erlangen hierdurch eine momenthafte Präsenz, die in eigentümlichem Widerspruch zur Zeitlosigkeit ihres im Bild konservierten Zustands steht. Ex negativo wird dabei ebenso der Aspekt der Vergänglichkeit berührt, der in den kurzlebigen Blumen besonders gegenwärtig ist: Er tritt bei van Aelst nicht nur in den löchrigen, bräunlich gekräuselten Blättern und den verschiedenen Blütenstadien zwischen Erblühen und Verwelken zutage, etwa in der Gegenüberstellung der festen Knospe mit der bereits erschlaffenden Rosenblüte, sondern auch im Motiv der Uhr. Neben dem mahnenden Verweis auf die Flüchtigkeit aller Dinge kann diese jedoch auch dem Lob des Künstlers dienen, dessen täuschende Kunstfertigkeit die Natur vor den Zerstörungen der Zeit bewahrt.
(J. Carrasco, 2015)



Literatur:
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 24, Kat.Nr. 905.
  • Herzog, Erich: Holländische Meister des 17. Jahrhunderts aus den Betänden der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel (Jahresausgabe der Hessischen Brandversicherungsanstalt für 1965). Kassel 1965, S. Vorwort o. S.
  • Bott, Gerhard; Gronau, Georg; Herzog, Erich; Weiler, Clemens: Meisterwerke hessischer Museen. Die Gemäldegalerien in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden. Hanau 1967, S. 158, Kat.Nr. VII.
  • Herzog, Erich: Die Gemäldegalerie der Staatlichen Kunstsammlungen Kassel. Geschichte der Galerie von Georg Gronau und Erich Herzog. Hanau 1969, S. 74.
  • Lehmann, Jürgen M.; Verein der Freunde der Kasseler Kunstsammlungen, Kassel e. V. (Hrsg.): Gemäldegalerie Alte Meister. Schloß Wilhelmstal. Bildheft mit 100 Meisterwerken. Kassel 1975.
  • Adler, Wolfgang; Herzog, Erich; Lahusen, Friedrich; Lehmann, Jürgen M.: Gemäldegalerie Alte Meister Schloß Wilhelmshöhe. Braunschweig 1981, S. 92.
  • Weber, Gregor J. M.: Stilleben alter Meister in der Kasseler Gemäldegalerie. Melsungen 1989, S. 30, Kat.Nr. 24.
  • Brenninkmeyer-De Rooij, Beatrijs; Broos, Ben; Meijer, Fred G.; Ploeg, Peter van der: Boeketten uit de Gouden Eeuw. Mauritshuis Demn Haag. Den Haag 1992, S. 22.
  • Trnek, Renate: Die holländischen Gemälde des 17. Jahrhunderts in der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien. Wien 1992, S. 6.
  • Schnackenburg, Bernhard: Gemäldegalerie Alte Meister Gesamtkatalog. Staatliche Museen Kassel. 2 Bde. Mainz 1996, S. 38.
  • Lange, Justus; Carrasco, Julia: Kunst und Illusion. Das Spiel mit dem Betrachter. Petersberg 2016, S. 140, Kat.Nr. 47.
  • Lange, Justus: Provenienzgeschichten. Gemäldegalerie Alte Meister. Schloss Wilhelmshöhe. Kassel 2017, S. 26-27.


Letzte Aktualisierung: 30.01.2024



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