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Samuel Nahl zeigt seiner Braut die Büste seines Bruders



Samuel Nahl zeigt seiner Braut die Büste seines Bruders


Inventar Nr.: GK 928
Bezeichnung: Samuel Nahl zeigt seiner Braut die Büste seines Bruders
Künstler / Hersteller: Johann August d. J. Nahl (1752 - 1825), Maler/in
Dargestellt: Samuel Nahl (1748 - 1813), Dargestellt
Charlotte Louise Nahl (*1761), Dargestellt
Datierung: 1782
Objektgruppe: Gemälde
Geogr. Bezug: Kassel
Material / Technik: Leinwand, doubliert
Maße: 44,5 x 36,9 cm (Bildmaß)
Provenienz:erworben 1933 von Gertrud Nahl, Darmstadt; 1910 u. 1927 Frau Oberst von Homeyer, Darmstadt


Katalogtext:
Johann August Nahl d. J., der – bis auf wenige Porträts seiner Familie, von einigen Künstlerfreunden und von sich selbst – vornehmlich Historienbilder und einige Veduten- und Landschaftszeichnungen geschaffen hat, malte dieses Doppelbildnis als Hochzeitsgeschenk für seinen älteren Bruder, den Bildhauer Johann Samuel Nahl d. J. (1748-1813).
Samuel Nahl, der mit seinem Bruder 1773 nach Paris und 1774 nach Rom gereist war, ist zusammen mit seiner zukünftigen Frau Charlotte Louise Guyart (geb. 1761), die er im Juli 1782 heiraten sollte, in einem klassizistisch gestalteten Interieur wiedergegeben. Er ist nach der zeitgenössischen Mode gekleidet, mit breitkrempigem, schwarzem Hut, grün gefüttertem, rotbraunem Rock, gelber Weste und weißem Hemd. Das Modellierholz, das er in der linken Hand hält und das Arbeitstuch, das auf der Stuhllehne liegt, auf die er sich stützt, deuten auf seinen Beruf hin. Mit der rechten weist er seine Braut auf eine von ihm geschaffene Gipsbüste hin. Diese steht neben den beiden auf einem kleinen runden Tisch und gibt den Bruder Johann August Nahl d. J. wieder, den Maler des Gemäldes. Die Gesichtszüge der ins Profil gerückten Büste sind – getreu den Lehren Johann Caspar Lavaters – als Charakterbild modelliert. Nur die Haartracht ist antiken Vorbildern nachempfunden. Seit 1945 gilt die Büste als verschollen, zuvor befand sie sich im Denkmalarchiv in Marburg.
Charlotte, die mit einem Strohhut mit Seidenblumen, einem mattrosa schimmernden Kleid mit weißem Spitzenkragen und einem pelzverbrämten, cremefarbenen Mantelet elegant gekleidet ist, hat die linke Hand auf Samuels Schulter gelegt. Mit der rechten deutet sie auf ein Reliefmedaillon, das in die mit Grau und Hellgrün abgesetzte Verkleidung der klassizistisch ornamentierten Rückwand eingelassen ist. Es stellt den Vater der beiden Brüder dar, den ein Jahr zuvor verstorbenen Bildhauer Johann August Nahl d. Ä. (1710-1781). Er ist im Profil mit der im Nacken zu einem Zopf geflochtenen Perücke und feinlinigen, leicht idealisierenden Gesichtszügen dargestellt. Unterhalb von dessen Bildnis stehen auf einem Sims zwei Vasen aus der Kasseler Steingutmanufaktur Steitz. Der Blumenstrauß in der größeren Vase findet seine Entsprechung in den Seidenblumen, die Charlottes Hut schmücken, und in dem mehrfarbigen Blumenmuster der Stuhllehne im Vordergrund rechts.
Samuel Nahl hatte das Marmororiginal des Reliefbildes seines Vaters, das sich heute im Weißensteinflügel des Schlosses Wilhelmshöhe befindet, 1781 angefertigt. Im Gemälde wirkt es durch die Einfassung in einen Lorbeerkranz wie ein Memorialbild. Es bildet den Endpunkt einer ansteigenden Diagonale, die von der Büste des jüngeren Bruders ausgeht und über das Brautpaar zum Vater verläuft. Damit spiegelt die Komposition in ihrer zentralen Achse die Familiengenealogie wider mit Johann August Nahl d. Ä. an der Spitze. Zudem sind Vater und Söhne im Profil, Charlotte hingegen »en face« dargestellt. Nicht das Brautpaar in seiner Privatsphäre ist ins Zentrum des Bildes gerückt, sondern der Stolz auf die eigene Familie, die Künstlerfamilie Nahl, von der hier zwei Generationen dargestellt sind. Das Gemälde ist ein zentrales Bildzeugnis für das Selbstverständnis und die Repräsentation von Künstlerfamilien an der Schwelle zur Moderne.
(S. Heraeus, 2003)



Literatur:
  • Nahl-Ausstellung. Kassel 1910, Kat.Nr. 37.
  • Biermann, Georg: Deutsches Barock und Rokoko. Leipzig 1914, S. 270 (Bd. 1), LXX (Bd. 2).
  • 150 Jahre Kasseler Kunstakademie. Kassel 1927, Kat.Nr. 109.
  • Gronau, Georg; Luthmer, Kurt: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. 2. Aufl. Berlin 1929, S. 52.
  • Pückler-Limpurg, Siegfired Graf: Der Klassizismus in der deutschen Kunst. München 1929, S. 204.
  • Bleibaum, Friedrich: Johann August Nahl, der Künstler Friedrichs des Grossen und der Landgrafen von Hessen-Kassel. Baden bei Wien/Leipzig 1933, S. 8, 33.
  • Preime, Eberhard: Die Bildnisse der Nahls. In: Hessenland 54 (1943), S. 17-21, S. 17-19.
  • Vom Rokoko zur Romantik. Kassel 1946, Kat.Nr. 54.
  • Vogel, Hans: Katalog der Staatlichen Gemäldegalerie zu Kassel. Kassel 1958, S. 99, Kat.Nr. 928.
  • Sabine Fett und Michaela Kalusok: Die Künstlerfamilie Nahl - Rokoko und Klassizismus in Kassel. Verzeichnis sämtlicher Werke von Johann August Nahl d. Ä., Johann Samuel Nahl d. J. und Johann August Nahl d. J. im Besitz der Staatlichen Museen Kassel. Kassel 1994, S. 25, 66, Kat.Nr. 71.
  • Sabine Fett, Michael Kalusok [Bearb.] und Ulrich Schmidt [Hrsg.]: Die Künstlerfamilie Nahl, Rokoko und Klassizismus in Kassel. Kassel 1995.
  • Heraeus, Stefanie; Tipton, Susanne: Künstlerbildnisse. Porträts von Tischbein bis Beuys. Malerei, Graphik und Skulptur aus eigenen Beständen. Kassel 1996, S. 38-39, Kat.Nr. 14.
  • Heraeus, Stefanie [Bearb.]; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: Spätbarock und Klassizismus. Bestandskatalog der Gemälde in den Staatlichen Museen Kassel. Kassel [u.a.] 2003, S. 138-140, Kat.Nr. 115.
  • 3x Tischbein und die europäische Malerei um 1800. Kat. Staatliche Museen Kassel, Museum der bildenden Künste Leipzig. München 2005, S. 28-29.
  • Germanisches Nationalmuseum Nürnberg: Charakterköpfe - Die Bildnisbüste in der Epoche der Aufklärung. 2013, S. 188 ff.
  • Mävers, Sophie-Luise: Reformimpuls und Reglungswut. Die Kasseler Kunstakademie im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert. Eine Studie zur Künstlerausbildung im nationalen und internationalen Vergleich. Darmstadt/Marburg 2020.
  • Dreiheller, Fritz: Von den Bildnissen der Nahls. Darmstadt o. J. [nach 1971], S. 5.


Letzte Aktualisierung: 09.11.2020



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