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Lucius Verus



Lucius Verus


Inventar Nr.: Sk 119
Bezeichnung: Lucius Verus
Künstler / Hersteller: unbekannt
Dargestellt: Lucius Verus Kaiser des Römischen Reiches (130 - 169), Dargestellt
Datierung: 160 - 169 n. Chr., mittelantoninisch
Epoche/Stil:mittelantoninisch (GND: 118503499)
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Römisches Reich
Material / Technik: Weißer, mittelkristalliner Marmor mit gelblicher Patina
Maße: 66,5 cm (Höhe)
Edelstahldübel 14,8 cm Dm 1,8 cm (Länge)
Bart bis Scheitel 34 cm (Höhe)
Kinn bis Scheitel 29 cm (Höhe)
Provenienz:Erworben 1963 im Kunsthandel Barsanti, Rom.


Katalogtext:
Die überlebensgroße Oberarmbüste ist mit einer Tunika und einem Paludamentum (Feldherrenmantel) bekleidet, das mit einer runden Fibel auf der rechten Schulter geschlossen ist. Die stofflichen Gewandfalten weisen Knicke auf und sind stark hinterschnitten.

Der nach rechts gewandte Kopf sitzt ungebrochen auf dem kräftigen Hals. Haar und Bart rahmen ein längliches Gesicht mit vortretenden Wangenknochen, das zum Kinn hin schmaler wird. Über Stirn und Schläfen reicht der Haaransatz weit hinab.
Die flachen Brauenbögen verlaufend annähernd gerade und steigen nach außen hin leicht an, wobei der rechte einen Knick bildet. Sie verschatten die länglichen mandelförmigen Augen, die so dicht unter ihnen liegen, daß die Orbitale spitze Dreiecke bilden. Die Oberlider schauen nur knapp darunter hervor. Die Unterlider gehen sanft in die Wangenpartie über. Die Pupillenbohrung sitzt unmittelbar unter den Oberlidern. Der Blick ist in die Ferne gerichtet. Die Augenpartie verleiht dem Gesicht einen entschlossenen souveränen Ausdruck.

Die große Nase mit ihrem leichten Höcker weist in der Spitze abwärts. Die Nasolabialfalten sind als Einsenkungen angedeutet. Die Begrenzung der vollen, fein geschwungenen Lippen war ursprünglich wohl deutlicher. Der Oberlippenbart mit seinen feinen Strähnen ist der Lippenkontur entsprechend gestutzt und legt sich rahmenartig um die Mundwinkel. Das flächige Gesicht mit seinen ruhigen ebenmäßigen Zügen zeigt ein faltenloses Inkarnat. Sanfte Hebungen und Senkungen kennzeichnen die subtil modellierte Oberfläche, die sorgfältig geglättet ist.
Der Bart an Kinn und Wangen besteht aus längeren gekräuselten Locken, die sich unter dem Kinn teilen und deren Ansätze auf der Gesichtsoberfläche in fein gemeißelten Rillen angegeben sind.

Das Haar bildet eine dichte voluminöse Masse aus kurzen dicken Lockenbüscheln, die vom Schädel abstehen und über Stirn und Schläfen aufwärts gebürstet sind. Über der linken Stirnhälfte lösen sich rechts neben einem Haarwirbel drei Löckchen, die waagerecht zur Stirnmitte hin laufen. Über dem rechten Ohr sind die Büschel kreisartig um eine zentrale Locke angeordnet.
Im vorderen Bereich ist die Haarmasse bis zu den Ohren wie die Bartlocken durch Bohrkanäle und Punktbohrungen mit zahlreichen Stegen aufgelockert. Am Ober- und Hinterkopf dagegen sind die plastisch ausmodellierten Lockenbüschel nur durch Rillen gegliedert, die mit dem Meißel gezogen sind. Oben auf dem Hinterkopf bildet sich ein kleiner Wirbel. Der Haaransatz im Nacken verläuft asymmetrisch.

Haar- und Barttracht, Gesichtsform und Bildung der Augenpartie, insbesondere der Brauen, erlauben eine eindeutige Identifizierung der Porträtbüste als Bildnis des Kaisers Lucius Verus (130-169 n. Chr.). Er war 161-169 n. Chr. der Mitregent Marc Aurels (reg. 161-180 n. Chr.). Beide waren 138 n. Chr. auf Veranlassung Kaiser Hadrians von ihrem Vorgänger Antoninus Pius (reg. 138-161 n. Chr.) adoptiert worden. 164 n. Chr. heiratete Lucius Verus Marc Aurels Tochter Lucilla. Bereits 169 n. Chr. starb er an einem Schlaganfall.

Die Kasseler Porträtbüste des Lucius Verus ist eine sehr qualitätvolle Replik seines 4. Bildnistypus. Er hat eine äußerst weite Verbreitung gefunden (Fittschen – Zanker 1985, 80). Da er während der gemeinsamen Regierungszeit der beiden Kaiser auftritt, ist er auch als ‘Samtherrschaftstypus’ bekannt. In der Münzprägung ist er von 161 n. Chr. an belegt. Der Typus taucht aber bereits auf einem Relief in Ostia auf, das inschriftlich in das Jahr 160 n. Chr. datiert ist. Vermutlich wird er zusammen mit dem 3. Bildnistyp Marc Aurels für das 161 n. Chr. geplante gemeinsame Konsulat entworfen und dann als Porträt des regierenden Kaisers sowie für posthume Bildnisse weitergenutzt (Fittschen 1971, 224 Anm. 30; Fittschen – Zanker 1985, 80). Die Kasseler Büste muß folglich zwischen 160 und 170 n. Chr. entstanden sein. Herkunft und Qualität sprechen für eine stadtrömische Werkstatt.

Der Kopf zeigt bis in die Haarmotive hinein große Übereinstimmungen mit der Büste Louvre MA 1101, einem der besten Vertreter des Typus (Lullies 1966; Wegner – Unger 1980, 44). Unter dem Mantel trägt sie jedoch anders als die Kasseler Büste einen Panzer. Zudem ist das Haar des Kasseler Lucius Verus nur im vorderen Bereich mit dem laufenden Bohrer gegliedert. Er läßt sich also nicht der Replikengruppe um die Büste im Louvre anschließen, deren Vertreter auch auf ihrer Rückseite Bohrungen im Haar aufweisen (Fittschen – Zanker 1985, 80 Anm. 13).
Anders als bei zahlreichen weiteren Porträts des Lucius Verus im 4. und Marc Aurels im 3. Typus, bei denen sich die Bohrungen ebenfalls auf den vorderen Teil der Frisur beschränken, sind die Bohrkanäle bei dem Kasseler Bildnis weniger tief. Sie reißen die Oberfläche des Steins nicht so stark auf. Dadurch wirkt der Übergang zum nichtgebohrten Teil weniger abrupt. Angesichts der insgesamt sehr sorgfältigen Ausführung ist der zurückhaltende Einsatz des Bohrers bei dem Kasseler Porträt wohl nicht allein eine Kostenfrage (vgl. Fittschen – Zanker 1985, 71).

Möglicherweise vertritt es eine frühere Stufe der mittel-spätantoninischen Stilentwicklung hin zu unruhig aufgebohrten Formen (vgl. Wegner 1939, 58; Fittschen 1971, 231). Demnach wäre die Kasseler Büste vielleicht zu Beginn der Regentschaft des Lucius Verus entstanden (Gercke 1975).
Seine Porträts im ‘Samtherrschaftstypus’ stimmen in ihrer Haar- und Barttracht eng mit Bildnissen Marc Aurels überein (Wegner 1939, 57). Damit folgen sie der antoninischen Mode, die hadrianische Traditionen fortsetzt (Fittschen – Zanker 1985, 81; Stemmer 1988, 1). Die Gliederung der kurzen Haarbüschel durch Bohrungen und Eintiefungen ist charakteristisch für die mittel-spätantoninische Stilphase zwischen 160 und 190 n. Chr. (Fittschen 1971, 231). Auch der malerische Kontrast zwischen glattem Gesicht und aufgebohrtem Haar ist zeittypisch.

Trotz der engen formalen und stilistischen Parallelen zu den Bildnissen Marc Aurels haben die Porträts des Lucius Verus eine völlig eigene Physiognomie. Sie zeigt sich vor allem in der niedrigen Stirn und der Augenpartie. Anders als die direkten Mitglieder der antoninischen Herrscherfamilie hat Lucius Verus nicht den typischen schläfrigen Blick. Seinem Porträt fehlen zudem der philosophische Habitus und das Pathos der Bildnisse Marc Aurels (Fittschen – Zanker 1985, 81), des ‘Philosophenkaisers’.

Wie die übrigen Vertreter des Bildnistypus präsentiert die Kasseler Büste Lucius Verus als gepflegte, elegante Erscheinung. Ihr vornehm-souveräner Ausdruck entspricht dem antoninischen Ideal der Nobilitas (vgl. Stemmer 1988, 38). Die Darstellung im Feldherrenmantel zeigt den Kaiser als Garanten der Sicherheit des Reiches (vgl. Stemmer 1988, X). Damit unterstreicht Lucius Verus, der im siegreich beendeten Partherkrieg 161-166 n. Chr. den Oberbefehl innehatte, seinen Anspruch auf Herrschaft (Gercke 1975).
Mit seinem Erscheinungsbild, das auch an die griechische Tradition homerischer Heroen anknüpft, verkörpert Lucius Verus offenbar das männliche Schönheitsideal seiner Zeit. Daher gleichen sich viele Bürger in ihren Privatporträts dem Bildnis des Kaisers an (Fittschen – Zanker 1985, 81; Stemmer 1988, 6. 38. 41 D6). Es verbindet zeittypische Idealvorstellungen mit individuellen Zügen (Gercke 1975).

(Zimmermann-Elseify 2007)



Literatur:
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 261-263, Kat.Nr. 84.


Letzte Aktualisierung: 29.03.2023



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