Berenike II.
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Inventar Nr.:
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Sk 115 |
Bezeichnung:
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Berenike II. |
Künstler / Hersteller:
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unbekannt
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Dargestellt:
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Berenike II., Königin von Ägypten (267 - 221 v. Chr.), Dargestellt |
Datierung:
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ptolemäisch (GND: 7622314-0) |
Objektgruppe:
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Skulptur |
Geogr. Bezüge:
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Alexandria |
Material / Technik:
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Weißer, mittelkristalliner Marmor. Bemalungsspuren. |
Maße:
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38 cm (Höhe) 42 kg (Gewicht)
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Provenienz: | Erworben 1961 im Kunsthandel Ars Antiqua, Luzern |
Katalogtext:
Der weit überlebensgroße Kopf war nach Ausweis des Halsansatzes und der asymmetrischen Gesichtsform zu seiner Linken gewendet. Der Kopf trug ursprünglich einen hochragenden Schmuck, dessen Zapfen in das quadratische Loch im Oberkopf eingelassen war. Die Frisur mit Mittelscheitel besteht aus einem Haarkranz, der von der Stirn über die halb verdeckten Ohren zum Nacken führt und oben von einem breiten Band (Tänie) gehalten wird. Oberhalb des Bandes ist die Kalottenfrisur nicht ausgeführt; die aufgeraute Fläche ist für einen Stuckauftrag vorbereitet. Die in feinen Wellen nach hinten gestrichenen Haare waren zu einem Nackenknoten zusammengenommen, dessen gerundete Anstückungsfläche sich abzeichnet. Das flache Band ist nur ein kurzes Stück auf der linken Seite erhalten. Es könnte im Nacken die Haare zu einem verlorenen Knoten zusammengebunden haben. Der fragmentarische Zustand erlaubt leider keine Entscheidung darüber, ob dieses flache Band im Bereich des Mittelscheitels über der Stirn eine Applikation trug.
Das sorgfältig geglättete Gesicht und die rauer belassenen Stirnhaare bewahren noch Spuren der ursprünglich rotbraunen Grundierung in den Haaren und auf der Iris; rötliche Farbreste weisen Mund, Kinngrube und die Falte zwischen Orbitalen und Lidern auf; Brauen und Lider waren schwarz bemalt.
Das Gesicht unter der dominanten Frisur hat eine niedrige Stirn, breite Schläfen, große Augen unter markanten Orbitalen, eine kräftige Nase, wenig ausgeprägte Wangen, tief und weit hinten ansetzende Ohren, einen kleinen geschlossenen Mund, ein vorspringendes kleines Kinn mit Grübchen und Tendenz zu einem Doppelkinn.
In der Frontansicht harmoniert das füllige Gesichtsoval mit der sphärischen, zugleich die Breite betonenden Anlage der Frisur. Die weiche und großflächige Modellierung wird einerseits durch das kolossale Format bedingt sein, andererseits vermittelt sie in Verbindung mit den Fülle und weibliche Eigenart betonenden Gesichtszügen und der Frisur den Eindruck matronaler, fürsorglicher und herrscherlicher Macht in überlebensgroßer Gestalt.
Der Kopf ist von der Forschung übereinstimmend mit der ptolemäischen Königin Berenike II. identifiziert worden (Berger 1962, Kyrieleis 1975, Felgenhauer 1996). Das Porträt stammt vermutlich von einem kolossalen Kultbild der Gemahlin und Mitregentin des Königs Ptolemaios III. (reg. 246–222/221 v. Chr.). Das pharaonische Herrscherpaar könnte in einem Tempel oder Schrein eines Heiligtumes in Alexandria aufgestellt gewesen sein. Für Berenike ist ein ca. 3,50 m hohes Standbild anzunehmen. Sie war vermutlich bekleidet mit Chiton und Himation, dessen Saum sie schleierartig über den verlorenen Nackenknoten bis auf den Oberkopf und dicht an die Ohren gezogen hatte, wie die Abflachung des Hinterkopfes und der für eine Stuckergänzung typische Werkzustand der Kalotte und die Abarbeitung im Nacken bezeugen. Ihr segensreiches Regiment dürften die Attribute wie Doppelfüllhorn in der linken, Szepter oder Opferschale in der rechten Hand angezeigt haben. In dieser weitgehend griechischen Tracht und Porträtauffassung nimmt sie die Funktion der ptolemäischen Königin und der pharaonischen Isis durch Insignien wie der verlorenen Isiskrone an. Die hohe, ehemals auf die Kalotte montierte Krone ist in der kanonischen Form zu denken: über einem Kranz aus Uräusschlangen erhob sich das leierförmig geschwungene Kuhgehörn mit der Sonnenscheibe und hohen Straußen- oder Falkenfedern. Vielleicht war über dem Stirnscheitel, wo unser Kopf eine abgeschlagene Bruchfläche aufweist, mithilfe des flachen Haarbandes ein Diadem oder eine ihren Vorderleib aufrichtende Uräusschlange wie auf den Geierhauben angebracht (Felgenhauer 1996).
Berenike II. stammte aus dem kyrenischen Königshaus, hatte dort Regierungserfahrung gesammelt und erhielt als erste Königsgemahlin der ägyptischen Geschichte schon zu Lebzeiten den Rang einer gleichberechtigten Priesterin und Pharaonin. Sie übte die Regentschaft während kriegsbedingter Abwesenheit ihres Mannes aus. Als erste Ptolemäerkönigin hatte sie eigenes Münzrecht und wurde bereits zu Lebzeiten auch ohne Verbindung mit dem königlichen Gemahl und Pharao vergöttlicht und kultisch verehrt (s. auch Sternbild, ›Locke der Berenike‹; Hölbl 1994). Neben den ägyptischen Formen gemeinsamer Verehrung für das Ptolemäerpaar folgt Berenike II. in ihren Handlungen und bildlichen Angleichungen an Gottheiten griechischen Traditionen, auch wenn sie als Isis zu identifizieren ist.
Das Bildnis wird während der gemeinsamen Regierungszeit entstanden sein. Ein postumes Kultbild ist historisch unwahrscheinlich, denn kurz nach dem Tod von Ptolemaios III. hat ihr Sohn Ptolemaios IV. (reg. 221–205 v. Chr.) sie und die bedeutendsten Mitglieder der königlichen Familie umbringen lassen, um eine politische Opposition oder Machtbeteiligung auszuschließen.
(Gercke 2007)
Literatur:
- Felgenhauer, Annette: Ägyptische und Ägyptisierende Kunstwerke. Staatliche Museen Kassel. Vollständiger Katalog. Kassel 1996, S. 204-208, Abbildung S. Farbabb. 12 + S.205-207, Kat.Nr. 98.
- Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 212-214, Abbildung S. 213.214, Kat.Nr. 66.
Letzte Aktualisierung: 05.11.2024