Dionysischer Jahreszeitensarkophag



Dionysischer Jahreszeitensarkophag


Inventar Nr.: Sk 46
Bezeichnung: Dionysischer Jahreszeitensarkophag
Künstler / Hersteller: unbekannt
Datierung: 240 - 250 n. Chr.
Objektgruppe: Skulptur
Geogr. Bezüge: Römisches Reich
Material / Technik: Weißer, großkristalliner Marmor mit dunklen Adern
Maße: 100,5 x 211 cm (Objektmaß)
578 kg (Gewicht)
links 23 cm (Tiefe)
rechts 20,5 cm (Tiefe)
Provenienz:Erworben 1777 durch Landgraf Friedrich II. in Rom. Ex Slg. Kardinal Carpegna, Rom


Katalogtext:
Der Boden des Sarkophages ist rechts im Innern als ›Kopfkissen‹ leicht erhöht, die Innenfläche ist gespitzt. Die erhaltene Vorderseite mit ihren abgerundeten Ecken ist vollständig mit Figuren in Hochrelief bedeckt, einzelne Elemente im Vordergrund sind freiplastisch gearbeitet.

Im Zentrum reitet Dionysos im Seitensitz auf einer Pantherin. Das Tier bewegt sich nach rechts. Um die Beine des Gottes ist ein Himation geschlungen, um seinen Oberkörper ein Bocksfell. In seinem Haar trägt er einen Kranz mit Efeublättern und Korymben, an dem Weinlaub und Trauben hängen. In seinem linken Arm hält Dionysos den Thyrsosstab, mit seiner rechten Hand gießt er Wein aus einem Kantharos in ein Trinkhorn, das ein hochhüpfender kleiner Pan ihm hinhält. Auch er ist mit einem Bocksfell bekleidet und trägt einen Tierbalg als Weinschlauch über seiner linken Schulter. Links neben dem Haupt des Dionysos füllt der Kopf eines Satyrs mit Pinienkranz in flachem Relief den Zwischenraum. In seiner rechten Hand hält er ein Lagobolon, mit seiner linken schlägt er rechts neben dem Weingott ein Schnippchen.

Die Pantherin wendet ihr Haupt zu Dionysos und hebt ihre linke Vorderpfote. Darunter zieht ein Satyrknabe einem sich abwendenden Pan einen Dorn aus dem Fuß. Der Pan sitzt auf einem Felsblock, an dem eine Syrinx und ein Lagobolon lehnen. Rechts vom Hals der Pantherin weicht ihr ein kleiner Satyr aus. Unter ihrem Bauch hält ein kniender Satyrknabe einem liegenden Ziegenbock Trauben hin. Unter dem Fuß des Dionysos verhüllt ein Tuch einen Gegenstand.

Geflügelte Jahreszeitengenien in Gestalt junger Männer, die sich einander zuwenden, rahmen das Zentralmotiv. Sie sind jeweils mit einer Chlamys bekleidet und setzen das Spielbein vor. Der Winter am linken Rand des Reliefs mit Schilfblattkranz im Haar hält in seinem rechten Arm ein Füllhorn mit Früchten, in seiner erhobenen linken Hand zwei Enten. Neben seinem rechten Bein steht ein kleiner Satyr mit Schilfstengel und einem Eber. Abweichend von den anderen Jahreszeiten ist die Chlamys des Winters auf seiner linken Schulter geschlossen und er setzt sein linkes Bein vor. Der Pfau zu seinen Füßen wendet sich zu dem folgenden Frühling mit Blätterkranz im Haar. In seiner erhobenen linken Hand hält dieser einen geflochtenen Korb mit Girlanden, in seiner rechten eine Handgirlande. Ein geflügelter Eros reicht ihm einen weiteren Girlandenkorb, ein kleiner Panther blickt zu ihm auf.

Rechts von Dionysos steht der Sommer mit einer Sichel in seiner rechten und vermutlich einem Ährenbündel in seiner nicht mehr erhaltenen linken Hand. Zu seinen Füßen steht ein girlandengeschmückter Altar mit einem Bockskopf darauf. Rechts folgt der Herbst mit Korymbenkranz im Haar sowie einem Füllhorn mit Früchten in seinem linken Arm und einem Hasen in seiner rechten Hand, nach dem ein Satyrknabe mit Hund und Lagobolon greift. Ein Löwe blickt zu dem Herbst auf. Rechts außen krault ein bekleideter Satyr mit geschultertem Lagobolon einen Panther am Kinn, der seine rechte Vorderpfote auf einen Korb mit Früchten legt.

Von der linken Nebenseite des Sarkophagkastens ist unter dessen oberem Rand ein Weinblatt mit Trauben erhalten, von der rechten Nebenseite ein Ast und der Rest eines Pinienstengels.

Die Abfolge der Jahreszeiten auf der Vorderseite entspricht der für Jahreszeitensarkophage kanonischen Anordnung. M. Biebers Benennung von Frühling und Herbst (Bieber 1915) trifft nicht zu (Matz 1975, Kranz 1984, Abad Casal 1990).

Die Komposition ist auf das Zentrum des Frieses fokussiert. Dort ist anstelle des oft dargestellten Clipeus mit Porträtbüsten oder eines Parapetasma eine Dionysosgruppe eingefügt. Damit vereint der Sarkophag zwei unterschiedliche thematische Einheiten, die sich aber kaum durchdringen (Kranz 1984, 59. 139 ff.; Koch 1993, 87 f.). Die Tradition des Mittelmotivs reicht bis in die griechische Kunst spätklassischer Zeit zurück (Matz 1958, 30; McCann 1978). Seine Erweiterung durch den hüpfenden Pan scheint jedoch ebenso einem Entwurf römischer Sarkophagwerkstätten zu entspringen wie seine Kombination mit dem Jahreszeitenzyklus (McCann 1978, Bartman 1993). Für eine Verbindung der beiden Elemente bereits in hellenistischer Zeit (Matz 1958, 135) liegen keine Beweise vor (McCann 1978). Geflügelte Genien sind als Personifikationen der Jahreszeiten fast ausschließlich auf kaiserzeitlichen Sarkophagen vom 3. Jh. n. Chr. an belegt (Abad Casal 1990).

Die Zwischenräume sind mit kleinformatigen Figuren aufgefüllt, die teils den Jahreszeiten attributiv beigegeben (Kranz 1984, 140. 219), teils wie die Dornauszieher- und die Satyr-Bock-Gruppe dem Mittelmotiv zuzuordnen sind. Die beiden letztgenannten treten noch auf weiteren Sarkophagen als Füllmotiv auf (Bieber 1915, Raumschüssel 1993). Die Satyrn stellen eine inhaltliche Verbindung der beiden kompositorischen Einheiten her.

Eine enge Parallele findet die Kasseler Vorderseite in der des Sarkophages Badminton-New York (Matz 1958, 31 ff.; McCann 1978). Abweichungen zeigen sich in den Füllmotiven und den Attributen der Jahreszeiten. Die beiden Stücke sind bisher die einzigen Belege in der Sarkophagkunst für das um den hüpfenden Pan ergänzte Mittelmotiv (Matz 1958, 128; Koch 1993, 88). Die allgemeinen Übereinstimmungen zwischen den beiden Sarkophagen legen die Vermutung nahe, dass zwischen dem Dionysos und dem Sommer des Kasseler Stücks analog zu dem New Yorker Exemplar eine Mänade mit Kymbala zu ergänzen ist (Bieber 1915, Matz 1975). Auch unter dem Fuß des Dionysos in Kassel befindet sich wohl ein Liknon mit Phallus in abgekürzter Form (Matz 1975). Beide Reliefs orientieren sich möglicherweise an einem gemeinsamen Vorbild (McCann 1978, Bartman 1993).

Das Kasseler Relief zeichnet sich durch monumentalisierte Figuren aus sowie durch eine Verdichtung der Komposition mit einer Betonung des Zentrums. Die überlängten Gestalten zeigen einen labilen Stand und gebrochene Bewegungen. Kurze tiefe Bohrkanäle mit Stegen lösen die Frisuren mit ihren kordelartigen Haarsträhnen kleinteilig auf. Augenwinkel und Pupillen sind tief gebohrt, die breiten Oberlider springen vor, die Lippenspalten weisen einzelne Bohrlöcher auf.

Vergleichbare Merkmale kennzeichnen Sarkophagreliefs der vorgallienischen Phase zwischen 240 und 255 n. Chr. (Fittschen 1972; Kranz 1984, 60 ff.). In der Komposition und den Proportionen der Figuren zeigen sich enge Parallelen zu dem Löwenjagdsarkophag Mattei II (Andreae 1980, Nr. 128), in der Haarbehandlung zu dem Musensarkophag Torlonia (Wegner 1966, Fittschen 1972) und dem Löwenjagdsarkophag Kopenhagen (Østergaard 1996). Letzterer stimmt auch in der Gestaltung von Augen und Mundpartie der Jagdgefährten mit den Figuren unseres Exemplars überein. Alle drei sind jeweils über das Porträt ihrer Zentralfigur zwischen 240 und 250 n. Chr. zu datieren, folglich muß auch der Kasseler Sarkophag in diesem Zeitraum entstanden sein.

In Kombination mit den vier Jahreszeiten steht Dionysos im Rahmen der Sepulkralsymbolik wohl für die Erneuerung des Lebens. Sie spiegelt sich auch in dem natürlichen Zyklus von Werden und Vergehen, den die Jahreszeiten darstellen. Letztere können zudem Opfergaben zum Grab bringen (McCann 1978; Koch 1993, 55 ff.). Das triumphale Erscheinen (Epiphanie) des Dionysos wird auch als Hinweis auf eine selige Entrückung oder Apotheose des Verstorbenen interpretiert (Matz 1958, 126 ff. 142; Turcan 1966, 609 ff.).

Der Sarkophag gehörte im späten 17. Jh. zur Sammlung des Kardinals Gaspare Carpegna. Vor 1693 wurde er in der Villa Carpegna in Rom gesehen und mit allen heute z. T. nicht mehr vorhandenen Ergänzungen gezeichnet (Kranz 1984). Die Dal Pozzo-Zeichnungen (Matz 1975, Beil. 115, 1) geben die Vorderseite und die Nebenseiten um die Mitte des 17. Jhs. noch in unergänztem Zustand wieder (Kranz 1984, Rausa 2000). Die Arbeiten wurden also wohl in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. ausgeführt. Wie der Kopf des Sommers zeigt, war der Bildhauer bestrebt, seine Ergänzungen dem antiken Bestand stilistisch anzugleichen. Als Landgraf Friedrich II. 1777 die Vorderseite erwarb, blieben die abgetrennten Nebenseiten in der Villa Carpegna zurück, wo sie noch Ende des 19. Jhs. vorhanden waren. 1908 entdeckte M. Bieber die beschädigte rechte Seite bei dem Kunsthändler Sangiorgi in Rom, vier Jahre später war sie verschollen (Bieber 1915). Ein ehemals in der Villa Carpegna befindlicher und heute verschollener Deckel, der von C. Robert dem Sarkophag zugewiesen wurde, war dagegen nicht zugehörig (Bieber 1915, Kranz 1984).

Die Angaben über die Herkunft unterstreichen, dass es sich bei dem Kasseler Sarkophag um ein stadtrömisches Werk handelt.

(Zimmermann-Elseify 2007)



Literatur:
  • Bieber, Margarete: Die antiken Skulpturen und Bronzen des Königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915, Kat.Nr. 86.
  • Savoy, Bénédicte: Patrimoine annexé: Les biens culturels saisis par la France en Allemagne autour de 1800. Paris 2003, S. 11, Kat.Nr. 6.
  • Gercke, Peter; Zimmermann-Elseify, Nina: Antike Skulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog. Mainz 2007, S. 352-355, Kat.Nr. 116.
  • Marion Meyer: Visualizing the Passing of Time: Personifications of Seasons in Greek and Roman Imagery. Turnhout 2021, Kat.Nr. Abb. 19.14.


Letzte Aktualisierung: 29.03.2023



© Hessen Kassel Heritage 2024
Datenschutzhinweis | Impressum