Schokoladenkanne



Schokoladenkanne


Inventar Nr.: KP 1965/4
Bezeichnung: Schokoladenkanne
Künstler / Hersteller: Louis Rollin (1674 - 1744)
Datierung: um 1720/1730
Objektgruppe: Gefäß
Geogr. Bezug: Kassel
Material / Technik: Silber, Ebenholz
Maße: 26,7 x 13,3 x 18,5 cm Tiefe mit Henkel (Objektmaß)
803,1 g (Gewicht)
Beschriftungen: BZ: Kassel (Neuhaus/Richter 3).
MZ: LR (Neuhaus/Richter 66a); Tremolierstich.


Katalogtext:
Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert verbreitete sich, nach dem Vorbild des französischen Hofes, in ganz Europa der Genuss der exotischen Heißgetränke Schokolade, Kaffee und Tee. Die bis dahin üblichen Trinkgelage mit starkem Alkoholkonsum wurden damit in gewissem Umfang zurückgedrängt. Wegen des hohen Preises waren die neuen Luxusgetränke jedoch lange Zeit nur dem Adel und Wohlhabenden zugänglich. Man nahm sie vorwiegend in kleinem Kreis und im privaten Umfeld zu sich. Für das benötigte Trinkgeschirr entwickelten die Goldschmiede und später die Porzellanhersteller eigene Gefäßtypen und Formen.
Die Schokoladenkanne von Louis Rollin weist die typischen Bestandteile auf, die für die Zubereitung der Trinkschokolade erforderlich waren. In den seitlich aufklappbaren Deckel ist ein kleiner Schieber eingearbeitet, der mit dem Ebenholzknauf betätigt wird. Hier wurde ein Quirl eingeführt, mit dem die Schokolade aufgeschäumt und unter ständigem Erhitzen mit Wasser, Milch, Rotwein und Aromen oder Gewürzen verrührt wurde. Die birnenförmige Kanne mit nur wenigen dekorativen Elementen ist ein typisches Beispiel für die charakteristische Schlichtheit von Silberarbeiten hugenottischer Prägung des 18. Jahrhunderts in Kassel.
Der Hersteller der Kanne, der um 1674 in Metz geborene Goldschmied Louis (später Ludwig) Rollin, gehörte zu den hugenottischen Einwanderern, die nach der Aufhebung des Edikts von Nantes 1685 in der Landgrafschaft Hessen-Kassel Zuflucht fanden. Er konnte sich in der Residenzstadt erfolgreich mit seinem Handwerk etablieren und durch die Heirat mit einer Kasseler Bürgerstochter auch gesellschaftlich integrieren. 1699 wurde er, unter Verzicht auf die den Hugenotten mögliche Befreiung vom Zunftzwang, als Meister in die Kasseler Goldschmiedegilde aufgenommen, der er von 1716 bis 1718 als Zunftmeister vorstand. 1724 wurde Rollin auch das angesehene Amt des fürstlichen Münzmeisters übertragen, das er bis zu seinem Tode 1744 innehatte. In Rollins Werkstatt fertigte der ebenfalls aus Metz stammende Pierre Baucair (1696–1775), einer der bedeutendsten Kasseler Goldschmiede des 18. Jahrhunderts, 1721 sein Meisterstück an.
Rollins Lebensweg ist jedoch nicht exemplarisch für die knapp 4000 in der Landgrafschaft Hessen-Kassel aufgenommenen hugenottischen Flüchtlinge. Landgraf Carl hatte 1685 versucht, durch Vergünstigungen und Privilegien („Freyheits Concession und Begnadigung“) vor allem qualifizierte Handwerker und Manufakturisten zu gewinnen, um dadurch im Sinne merkantilistischer Wirtschaftspolitik die ökonömische Kraft des Landes zu stärken. Das gelang jedoch nur in sehr begrenztem Umfang, sodass ein großer Teil der meist mittellosen „Réfugiés“ mit umfangreicher staatlicher Unterstützung in neu gegründeten Dörfern („Kolonien“) angesiedelt werden musste und dort meist von der Landwirtschaft und dem Handwerk lebte. Nur in wenigen Städten entstanden spezielle, als Manufakturen erfolgreich produzierende Gewerbebetriebe, besonders im Textilbereich. Auch wenn sich die Hoffnung auf eine Erhöhung der Wirtschaftskraft nur ansatzweise erfüllte, hatte die Aufnahme der Hugenotten durch die eingeführten Innovationen und Qualitätssteigerungen doch positive und zukunftsweisende Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes wie auch auf das Geistes- und Kulturleben der Landgrafschaft.
Auch in Kassel ließ Landgraf Carl vor der Stadt eine neue Siedlung für die Glaubensflüchtlinge anlegen. Programmatischer und städetebaulicher Mittelpunkt der auf planmäßigem Grundriss erbauten „Oberneustadt“ wurde der eigens für die Réfugiés errichtete Kirchenbau (1698–1710, später „Karlskirche“ genannt). Anlässlich ihrer Grundsteinlegung fertigte der seit 1691 in Kassel lebende hugenottische Medailleur Gabriel Le Clerc eine silberne Medaille an.
(Gerd Fenner in: Kat. Kassel 2016)



Literatur:
  • Meisterliste, Kat.Nr. 66.
  • Scheffler, Wolfgang: Goldschmiede Hessens. Daten, Werke, Zeichen. Berlin 1976.
  • Schneider, Ina; Schmidberger, Ekkehard: Hanauer und Kasseler Silber. Kassel 1981, S. 74, Kat.Nr. 7.
  • 300 Jahre Hugenotten in Hessen. Herkunft und Flucht, Aufnahme und Assimilation, Wirkung und Ausstrahlung. Kassel 1985, Kat.Nr. 309.
  • Pechstein, Klaus; Siegel-Weiß, Claudia; Tilmann, Ursula: Schätzte deutscher Goldschmiedekunst von 1500 bis 1920 aus dem Germansichen Nationalmuseum. Berlin 1992.
  • Neuhaus, Reiner: Immer Kannen für Kaffee und Milch? Die Kannenpaare, ein Höhepunkt der Kassler Goldschmiedekunst. 1995, S. 73-74, 84.
  • Neuhaus, Rainer; Schmidberger, Ekkehard: Kasseler Silber. Eurasburg 1998.
  • Schmidberger, Ekkehard; Richter, Thomas; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: SchatzKunst 800-1800. Kunsthandwerk und Plastik der Staatlichen Museen Kassel im Hessischen Landesmuseum. Wolfratshausen 2001, S. 316, Kat.Nr. 142.
  • Scherner, Antje [Bearb.]; Cossalter-Dallmann Stefanie [Bearb.]: Aus der Schatzkammer der Geschichte. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Petersberg 2016, S. 104, Kat.Nr. 43.


Letzte Aktualisierung: 09.10.2023



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