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Genesis, Wandreliefs aus dem Alabastergemach des Landgrafenschlosses



Genesis, Wandreliefs aus dem Alabastergemach des Landgrafenschlosses


Inventar Nr.: KP B I.6 (A I. c 384a)
Bezeichnung: Genesis, Wandreliefs aus dem Alabastergemach des Landgrafenschlosses
Künstler / Hersteller: Elias Godefroy (Dupré) (Ersterwähnung 1557, + 1568)
Adam Liquier ((nach) 1540 - 1586)
Datierung: 1557 - 1559
Objektgruppe: Skulptur / Plastik, Relief
Geogr. Bezug: Kassel
Material / Technik: Alabaster, Reste von Farbfassung und Vergoldung
Maße: 121 x 295 cm (Bildmaß)
855 kg (Gewicht)


Katalogtext:
Die vier Reliefs mit Szenen aus dem alten und neuen Testament stammen aus dem sog. „Alabastergemach“ des ehemaligen Kasseler Landgrafenschlosses. Sie waren als Teil der Wanddekoration in einen Eckraum integriert, der zwischen 1557 und 1560, noch zur Bauzeit des Schlosses, im zweiten Obergeschoss eingerichtet worden war. Schon Zeitgenossen rühmten den außergewöhnlichen Raum: Sein Fußboden, die Wände, die Decke und selbst die Türen waren Beschreibungen zufolge mit glänzend poliertem Alabaster verkleidet. Eine Gliederung aus Säulen auf Postamenten mit Gesimsen zierte die Wandflächen, in die auf vier Seiten die Reliefs eingelassen waren. Den Quellen zufolge wurde das Alabastergemach als prachtvolles, an antiken Innenräumen orientiertes Speisezimmer genutzt. So erwähnt Bernardus Vigilius Praetorius 1592 in seiner Ekloge auf Landgraf Wilhelm IV., dass der Raum „mit Sitzbänken, halbrunden und geraden Speisesofas aus purem Marmor“ (de marmore puro structa pavimentum, subsellia, sigmata, fulcra“, zit. nach Winkelmann 1697, S. 275) ausgestattet war. Andere Quellen berichten von einem runden Alabastertisch oder bezeichnen den Raum als „coenaculum“ (Speiseraum). Spätestens unter Landgraf Moritz dem Gelehrten wurde der Raum allerdings auch als Gästezimmer für hohe Staatsgäste genutzt.

Der Alabaster des Prunkraumes stammte aus den Brüchen von Konnefeld (Gemeinde Morschen, Schwalm-Eder-Kreis) und zählte somit zu den kostbaren heimischen Bodenschätzen, die im Landgrafenschloss repräsentativ zur Schau gestellt wurden. Als ausführender Künstler ist dank eines Eintrags im Kirchenbuch der Kasseler Martinsgemeinde der Niederländer Elias Godefroy Dupré (gest. 1568), überliefert, der Leiter der ersten Kasseler Hofbildhauerwerkstatt war. Neben ihm und seinem wichtigsten Schüler und Nachfolger Adam Liquir aus Beaumont waren zahlreiche Gesellen an dem Prunkgemach beteiligt. So hielt Herzog Johann Albrecht I. von Mecklenburg über seinen Kasselbesuch von 1562 fest: „dieses Losament hat 4000 Rthl. zu verfertigen gekostet, und der Meister mit 30 zwo Jahr daran gearbeitet“ (zit. nach Lipińska 2015, S. 370).

Die außerordentlich qualitätvollen, in Teilen fast vollplastisch gearbeiteten und teilweise vergoldeten Reliefs stellen mehrteilige biblische Begebenheiten dar. Neben der Genesis (Erschaffung von Adam und Eva, Sündenfall, Vertreibung aus dem Paradies, erste Arbeit der Ureltern, Brudermord von Kain an Abel) sind dies Szenen aus dem Leben Christi (Anbetung der Hirten, Passion, Auferstehung, Himmelfahrt), das Jüngste Gericht und die Begebenheit vom „Reichen Mann und dem armen Lazarus“ dar. Als weitere Szene ist „Christus und die Ehebrecherin“ in Quellen überliefert, die das Lazarus-Relief auf der rechten Seite ergänzt haben könnte, heute aber verloren ist.
Schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts wurden die Reliefs aus dem Schloss ins sog. Kunsthaus verbracht, da das Alabastergemach einer neuen Verwendung zugeführt werden sollte. Auf diese Weise haben sie die Zerstörung des Residenzschlosses im Jahr 1811 überlebt. 1807 wurde das Relief mit den Szenen aus dem Leben Christi auf Befehl Kaiser Napoleons nach Paris geholt, um im Musée Napoleon ausgestellt zu werden. Die Beschädigungen des empfindlichen Hochreliefs müssen während der Transporte nach und von Frankreich entstanden sein.

(3.5.2016, Antje Scherner)



Literatur:
  • Uffenbach, Zacharias Conard von: Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen Holland und Engelland. Ersther Theil. Memmingen 1753, S. 42.
  • Thieme, U. [Hrsg.]; Becker, F. [Hrsg.]; Vollmer, H. [Hrsg.]: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Leipzig 1907-1950, S. 290 (Bd. 14).
  • Holtmeyer, Alois: Die Bau- und Kunstdenkmäler im Regierungsbezirk Cassel. Kassel 1923, S. 280 f.
  • Hallo, Rudolf: Die Meister vom Casseler Philippsepitaph. In: Hessenkunst (1926), S. 48-57.
  • Kramm, Walter: Die beiden ersten Kasseler Hofbildhauerwerkstätten im 16. und 17. Jahrhundert. In: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 8/9 (1936), S. 329-390.
  • Wustrack, Michael K.: Das 1554 datierte Mechelner Alabaster-Relief in der Kasseler Löwenburg. In: Kunst in Hessen und am Mittelrhein 21 (1981), S. 7-21.
  • Heppe, Dorothea: Das Schloß der Landgrafen von Hessen in Kassel von 1557 bis 1811. Marburg 1995, S. 83-89; 162, Anm. 807.
  • Schmidberger, Ekkehard; Richter, Thomas; Eissenhauer, Michael [Hrsg.]: SchatzKunst 800-1800. Kunsthandwerk und Plastik der Staatlichen Museen Kassel im Hessischen Landesmuseum. Wolfratshausen 2001.
  • Harmssen, Anne; Scherner, Antje: Ein Museum zieht um. Rückblick auf die Auslagerung der Kunstwerke aus dem Hessischen Landesmuseum. In: Jahrbuch 2010 (2011), S. 16-21.
  • Lipińska, Aleksandra: Moving Sculptures. Southern Netherlandish Alabasters from the 16th to 17th Centuries in Central and Northern Europe. Leiden/Boston 2015, S. 271-273, 370.
  • Scherner, Antje [Bearb.]; Cossalter-Dallmann Stefanie [Bearb.]: Aus der Schatzkammer der Geschichte. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Petersberg 2016, S. 48, Kat.Nr. 15.


Letzte Aktualisierung: 11.01.2024



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