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Pferd zu Landgraf Carl aus dem Gehäuse zur Planetenlaufuhr



Pferd zu Landgraf Carl aus dem Gehäuse zur Planetenlaufuhr


Inventar Nr.: KP U 63a Va
Bezeichnung: Pferd zu Landgraf Carl aus dem Gehäuse zur Planetenlaufuhr
Künstler / Hersteller: Ignaz Elhafen (1658 - 1715), fraglich
Gabriel Grupello (1644 - 1730), Umkreis
Datierung: um 1700
Objektgruppe: Skulptur / Plastik, Vollplastik
Geogr. Bezug: Düsseldorf oder Kassel
Material / Technik: Elfenbein, gesägt, geschnitzt, geschabt und poliert
Maße: Reiter und Pferd 22,5 x 10,5 x 21,5 cm (Objektmaß)


Katalogtext:
Die Elfenbeinstatuetten »Herkules«, »Minerva« und »Landgraf Carl zu Pferde« bekrönten zusammen mit »Religio« und einer nicht identifizierbaren weiblichen Allegorie das Holzgehäuse der 1561 vollendeten Planetenlaufuhr Eberhard Baldeweins. Landgraf Carl von Hessen-Kassel, der die damals hochberühmte Uhr seines Ururgroßvaters Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel 1679 durch den Einbau eines Pendels modernisieren und 1683 sowie 1712 in einer Beschreibung veröffentlichen ließ, gab das prachtvolle Nussbaumgehäuse vermutlich im ersten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts in Auftrag. 1765 wird es gemeinsam mit den bekrönenden Elfenbeinfiguren erstmals im Uhreninventar erwähnt. Als Schöpfer des Gehäuses gilt seit den Forschungen Rudolf Hallos der hugenottische Meister Paul Collignon, die Autorschaft der Elfenbeinfiguren hingegen blieb umstritten. Neben Ignaz Elhafen und Jacob Dobbermann wurde zuletzt ein Künstler aus dem Umkreis von Gabriel Grupello in Erwägung gezogen.
Bemerkenswert ist die Verbindung einer Reiterfigur Landgraf Carls mit den Statuetten des antiken Halbgotts Herkules sowie der Minerva. Beide scheinen Landgraf Carl als allegorische Leitbilder gedient zu haben, denn sie treten auch auf Medaillen, allegorischen Elfenbeinmedaillons, dem Titelblatt der »Delineatio Montis« oder dem Entwurf für ein Deckengemälde im Kasseler Residenzschloss gemeinsam auf. Als Halbgott und Held der antiken Mythologie galt Herkules als Sinnbild staatsmännischer Stärke und Klugheit. 1717 ließ der Landgraf die Pyramide des Oktogons im Bergpark Wilhelmshöhe mit der Monumentalfigur des Herkules Farnese bekrönen, und auch in der Hauptachse der Karlsaue soll ein Modell des Herkules gestanden haben. Minerva hingegen tritt nicht nur mit Herkules, sondern auch alleine als direkte Begleiterin des Landgrafen auf. So flankiert die Göttin das Porträt des Landgrafen im Marmorbad in der Kasseler Karlsaue, aber auch dessen Bildnis in einer Ofenanlage aus dem Speisesaal des Residenzschlosses. Mehr noch als Herkules dürfte Minerva als Göttin der Weisheit, klugen Kriegsführung, des Handwerks und der Kunstfertigkeit sowie als Beschützerin der Wissenschaften und Künste die politischen Ziele des Landgrafen verkörpert haben.
Neben der Aufstellung eines schlagkräftigen Heeres war Carl am ökonomischen Aufbau seines Fürstentums durch die naturwissenschaftliche und technische Ausbildung seiner Untertanen interessiert. Er ließ die ererbte Sammlung wissenschaftlicher Instrumente und Uhren durch gezielte Ankäufe physikalischer und optischer Experimentierapparate zu einer der bedeutendsten Kollektionen ihrer Art ausbauen. Diese technischen Meisterwerke stellte Carl spätestens seit 1709 im sog. Kunsthaus als Studienmaterial für Ausbildungszwecke zur Verfügung. In jenem Jahr gründete er das »Collegium Carolinum«, eine propädeutische Lehranstalt, die den Nachwuchs seines Fürstentums in den angewandten Naturwissenschaften unterrichten und auf ein Studium an den Landesuniversitäten vorbereiten sollte – »zur Besserung des Landes«, wie Landgraf Carl in der Gründungsurkunde festhielt. Dass dieser sein Reiterporträt, begleitet von Herkules und Minerva, auf das vornehmste Meisterwerk dieser technischen Sammlung setzen ließ, kann als programmatisch gelten. Landgraf Carl schuf so ein Saalmonument im Kunsthaus, das die dynastische Tradition des Hauses Hessen ebenso spiegelte wie die programmatischen Leitlinien seiner Herrschaft.
Antje Scherner (10/2016)



Literatur:
  • Hallo, Rudolf: Von alten Uhren im Hessischen Landesmuseum und von der Uhrmacherkunst in Kassel.
  • Loeske, M.: Interessante Uhren im Hessischen Landesmuseum in Kassel. In: Deutsche Uhrmacherzeitung 54 (1930), S. 547-548.
  • Weber-Zeithammer, Eva: Studien über das Verhältnis von Architektur und Plastik in der Barockzeit. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 21 (1968), S. 158-215, S. 155, Kat.Nr. 148.
  • Theuerkauff, Christian: Der "Helfenbeinarbeiter" Ignaz Elhafen. In: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 21 (1968), S. 92-157, S. 155.
  • Hallo, Rudolf: Kasseler Beiträge zur Kunst des Barock. Die Beziehungen insbesondere zum Kurpfälzischen Hof in Düsseldorf. In: Schriften zur Kunstgeschichte in Kassel. Sammlungen, Denkmäler, Judaica (1983), S. 131-171.
  • Herkules. Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe. Kassel, Eurasburg 1997, S. 152, Kat.Nr. 39.
  • Irle, Klaus: Herkules im Spiegel der Herrscher. In: Herkules. Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe (1997), S. 61-78, S. 86 f.
  • Heraeus, Stefanie: "Die Wiedergeburt des guten Geschmacks in Hessen". Landgraf Karl als Kriegsheld und Kunstmäzen. In: Herkules. Tugendheld und Herrscherideal. Das Herkules-Monument in Kassel-Wilhelmshöhe (1997), S. 79-98, S. 86 ff.
  • Scherner, Antje [Bearb.]; Cossalter-Dallmann Stefanie [Bearb.]: Aus der Schatzkammer der Geschichte. Vom Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert. Petersberg 2016, S. 96, Kat.Nr. 39.
  • Bungarten, Gisela (Hrsg.): Groß gedacht! Groß gemacht? Landgraf Carl in Hessen und Europa. Ausstellungskatalog. Kassel, Museumslandschaft Hessen Kassel. Petersberg 2018, S. 48.


Letzte Aktualisierung: 09.05.2023



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